Filmemacher Fabian Biasio ist leidenschaftlicher und emotionsgetriebener Velofahrer, der die Strassen Luzerns hasst, genauso wie ich. Egal, wo man durch die Stadt Luzern fährt, entkommt man den Horrorspots nicht. Ob am Bundesplatz, auf der Seebrücke oder beim Kreuzstutz: Der Beinahe-Tod ist ein ständiger Begleiter.
Diese Emotion trägt Fabian Biasio in seinem Film aus, der selbstironisch und positioniert diese Obsession zum Vierrad darstellt. Mit Kurzclips, die skurilles Autofahrverhalten zeigen, wie einen Death-Ride durch den Luzerner Verkehr oder symbolische Szenen, in denen er Autos zerkratzt, nährt Biasio das Publikum mit Hass gegenüber Autofahrenden und nimmt diese auf die Schippe. Dennoch muss er sich eingestehen – irgendwie ist auch er gerne hinter der Windschutzscheibe. Der Film Automania spiegelt unser Verhältnis zum Auto wider und regt dazu an, dieses neu zu überdenken. Der Film wurde an verschiedenen Festivals eingereicht und wird bald wieder auf Leinwänden gespielt.
Im Interview mit Fabian Biasio
frachtwerk: In deinem Film «Automania» geht es um die Manie rund um das Auto. Kannst du den Titel erläutern?
Fabian Biasio: Das Wort «Mania» ist Griechisch und bedeutet Wahnsinn oder Raserei – das finde ich sehr passend. Es beschreibt diese Intensität: Lieben wir das Auto oder hassen wir es? Diese Maschine macht etwas mit unserem menschlichen Gehirn. Du kannst durch minimalen Kraftaufwand deine Energie fast ins Unermessliche durch Geschwindigkeit und Kraft potenzieren. Autos, und das ist von den Designern gewollt, sehen immer aggressiver aus. Als Velofahrer:in oder Fussgänger:in hast du das Gefühl, die monströsen Kühlergitter-Mäuler in den bösen Visagen fressen dich auf. Und dann noch mit ganz gspässigen maskulin anmutenden Namen wie «Duster» oder «T-Rex». Es ist wohl auch ein Spiegel unserer Gesellschaft. Die Strasse ist ein Raum voller Vulgär-Darwinismus, wie ich es im Film anspreche. Es ist ein totales
Wettrüsten und hat etwas Verrohtes. Ich will nicht sagen, dass wir eine verrohte Gesellschaft sind, doch ein Bruchstück kommt auf öffentlichen Strassen zum Ausdruck.
frachwerk: Du bist ja selber Protagonist und Regisseur in diesem Film. Wie war das für dich?
Fabian Biasio: Ich hatte schon mal einen Film über Palliative-Care und den Tod im Kino, der auch nach diesem Muster abgelaufen ist. Ich wusste, bei diesem Auto-Thema geht es nur, indem ich als Protagonist mit Selbstironie vor der Kamera agiere. Die Art und Weise entspricht der TikTok- und Insta-Generation. Mich selbst vor der Kamera zu inszenieren, da habe ich kein Problem damit. Für mich war von Anfang an klar, dass es meine Geschichte ist. Ich mache in meinen Projekten immer Dinge, die mich persönlich betreffen. Das tat ich schon als sehr junger Fotograf. Ich brauche diese persönliche Betroffenheit im Dokumentarfilm. Journalist:innen inszenieren sich nicht so gerne vor der Kamera. Es ist schnell mal peinlich. Ich fand, das müsse mir egal sein. Dafür hatte ich mit dem Film-Cutter Isai Oswald einen sehr guten Editor. Ich habe ihm gesagt, sein Hauptauftrag sei, dass sich das Publikum möglichst nicht fremdschämt. Es war ziemlich schwierig, Geld von Stiftungen und Filmförderstellen zu erhalten für dieses Projekt. Für alle ist das Auto wohl alltäglich geworden, sodass es gar nicht mehr auffällt, wie verdammt wichtig das Thema ist.
frachtwerk: Im Film protestierst du mit einem «Gehzeugs», was so viel ist wie ein abgesteckter Autorahmen. Wie war diese Protest-Erfahrung?
Fabian Biasio: Der Reiz des Übertritts von roten Linien, das war grossartig. Ein Ausbrechen aus Normen, dem gesellschaftlichen Ungehorsam. Das macht manchmal Spass. Aber ich bin kein Aktivist, mein Wirken ist an einem anderen Ort. Ich kann vielleicht Leute dazu animieren und fände es toll, wenn es mehr von diesen «Gehzeugs» gibt. Klar, ich wurde dafür bestraft. Aber aus meiner Sicht war ich nicht langsamer unterwegs als ein Fasnachtswagen. Da ist auch die Frage, was die Gesellschaft toleriert und was nicht.
Ich will keinen Stadt-Land-Konflikt heraufbeschwören. Aber die Stadt ist der Lebensraum von uns Städter:innen. Für die Landbevölkerung ist es dagegen oft bloss ein Ort für Vergnügen, Shopping – oder um mal so richtig auf den Putz zu hauen. Die Stadt ist aber auch mein Wohnbereich. Gerade die Pilatusstrasse, die ich mit dem Gehzeug benutzt habe, ist zu gefährlich, als dass meine Kinder sich darauf mit ihren Fahrrädern bewegen könnten. Doch die Stadtbevölkerung hat dazu nichts zu sagen: Es ist eine Kantonsstrasse.
frachtwerk: Was hast du für Reaktionen erhalten?
Fabian: Im Film sind die Menschen ziemlich zurückhaltend. Die meisten fluchten im Auto oder jemand lässt die Scheibe runter und schreit. Und es ist genau das. Im Auto exponiert man sich nicht. Man flucht still für sich. Und mit dieser Aktion treten sie in eine Kommunikation mit der Aussenwelt. Man ruft lieber jemanden aus dem Auto heraus und nimmt Kommunikation auf, man ist abgeschirmt, wie in einer Erweiterung seines Wohnzimmers, indem sie das Gefühl haben alles machen zu können, was sie wollen.
frachtwerk: Würdest du deinen Film als politisch einordnen?
Fabian Biasio: Ja, es ist ein politischer Film, weil er auf den Gap hinweist, wie vollkommen verschieden die Welten aussehen, ob du in einem Auto sitzt oder nicht. Dazu kommt, dass der Besitz eines Automobils heute als völlig selbstverständlich angesehen wird. Bei mir im Wohnquartier haben die Kinder mitbekommen, dass ich hier drehe. Dann hat mich ein kleines Mädchen gefragt, was für einen Film ich mache. Ich habe gesagt, ich mache einen Film über das Auto, weil ich selbst kein Auto habe. Dann hat mich das Mädchen mit grossen Augen angeschaut. Sie hat gesagt, was? Du hast kein Auto? Es haben doch alle ein Auto. Ich musste so lachen. Es ist so selbstverständlich. Aber warum ist es so selbstverständlich? Ich habe kein Auto. Aber ich brauche das Mobility. Ich bin auch nicht konsequent. Das ist genau das
Thema. Ich glaube, das darf man nicht vergessen, dass der Mensch ein totales Spasstier ist und Autofahren macht mir ganz ehrlich Spass. Das gebe ich auch zu im Film. Nicht unbedingt in Luzern, aber auf diesem grossartigen Auto-Trip quer durch die USA. Linke und Grüne haben natürlich 100% Recht mit ihrer Sorge vor dem Klimawandel. Aber es klingt jeweils so wie ein Arzt, der sagt, «sie dürfen nicht mehr so viel rauchen, nicht mehr trinken» – alles, was Spass macht. Die Rechten erzählen dann das Narrativ der «Spassbremsen» und haben nicht ganz unrecht damit.
frachtwerk: Dein Film zeigt, wie sehr das Auto die Gesellschaft prägt. Welche Veränderungen wünschst du dir von der Verkehrspolitik, insbesondere in Luzern?
Fabian Biasio: Schau dir mal die Dammstrasse oder Seebrücke an. Wenn es schneit, wird der Schnee auf den Veloweg gepflügt. Ich beklage mich nicht, dass nicht Schnee geräumt wird, sondern darüber, dass es den Stellenwert des Velos zeigt. Man gewährleistet die Strasse für Autos, während der Veloverkehr als Nebensache oder sogar als verzichtbar behandelt wird. Die Autos können teilweise auf vier Spuren durch Luzern fahren. Ich möchte jedoch eine eigene Spur nur für Velos – und zwar abgetrennt. Die Zeit ist reif, diese Forderung zu stellen. Und das funktioniert – ich habe es in Kopenhagen gesehen. Ich finde, es wird langsam Zeit, dass wir uns nicht mehr so ducken.
frachtwerk: Gibt es eine Erkenntnis, die dir besonders wichtig ist?
Fabian: Die Verkehrspsychologin hat etwas Schönes gesagt: «Es braucht mehr Freundlichkeit im Verkehr. Freundlichkeit ist eine Form von Intelligenz. Das ist mein persönlicher Gewinn.»