B-Sides 2024: Awareness und Festival, wie funktioniert das eigentlich? Ein Einblick

Das B-Sides Festival hat bei der heurigen Ausgabe zum ersten Mal mit einem ganz-heitlichen Sicherheits- und Awareness-Konzept gearbeitet. Eine aufwendiges und komplexes Projekt, mit dem sich das Luzerner Festival in die Reihe der Vorreiter:innen stellt.

Autor:in:
Jan Rucki
Titelbild:
Emanuel Rucki
Hinweise:

Während drei Tagen feiern, trinken, Musik hören und plaudern– die Hochzeit der Festivals hat wieder begonnen. Doch wo viel Endorphine ausgeschüttet werden, kommt es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen, es gibt Menschen, die ihre eigenen und die Grenzen anderer nicht (mehr) wahrnehmen und deswegen Hilfe gefragt ist. Das B-Sides Festival mit seinen etwa 3500 Gästen pro Jahr hat sich im Vorfeld zur diesjährigen Ausgabe, die am vergangenen Wochenende über die Bühne gegangen ist, aufs Neue sehr umfassend mit den Themen Sicherheit und – dieses Jahr zum ersten Mal in diesem Umfang – Awareness auseinandergesetzt. Daria Wechsler ist einer der Köpfe hinter dem neuen Konzept, das die Werte des Festivals und die verschiedenen Regeln und Abläufe beschreiben soll – eine äusserst umfang- und aufwandsreiche Arbeit, wie sie frachtwerk gegenüber selbst erzählt. Sie ist beim B-Sides Festival für das Ressort Awareness verantwortlich.

Das Awareness-Team war mit mehreren Personen täglich auf dem Gelände im Einsatz. Erkennbar an ihren violetten Westen. (Bild: Fabienne Maier)

"In vergangenen Ausgaben hatten wir immer einen Sicherheitsdienst, ein Sanitätsteam und letztes Jahr dazu ein ‘Care Team’ mit Menschen von der Seelsorge Kriens mit einem Plauderbänkli vor Ort", so Daria weiter. Das Bedürfnis sei aber stets gewachsen, ein umfassenderes, ganzheitliches Sicherheits- und Awareness-Konzept zu erarbeiten und ein entsprechendes Team vor Ort zu haben. "Da haben wir uns ein Vorbild an Festivals wie dem ‘Am Bach’ oder den ‘Winterthurer Musikfestwochen’ genommen, die bereits in vergangenen Ausgaben mit solchen Konzepten und Teams gearbeitet haben." Im Konzept, das nun für das B-Sides existiert, sind die Grundsätze und Werte festgehalten, die am B-Sides gelebt werden sollen. Vom Team, von den Gästen und von den Künstler: innen. Es geht um das Wohlbefinden aller Personen vor Ort, die Unterstützung für Gewaltbetroffene und die Sicherheit in allen Aspekten für die Menschen, die sich am Festival herumtreiben.

Das Ziel: eine kollektive Verantwortungsübernahme

Eine grosse, herausfordernde Aufgabe; denn der Unterschied zu einem klassischen Sicherheitskonzept liegt unter anderem vor allem darin, dass nicht nur reaktiv und präventiv gehandelt wird, sondern darüber hinaus eine sogenannte kollektive Verantwortungsübernahme errichten zu können. "Das braucht viel Nerv und Arbeit, denn das ideale Ziel ist es, dass sich jede einzelne Person an unserer Veranstaltung im Klaren darüber ist, welches Verhalten sie an den Tag legen sollte und welche Grenzen einzuhalten sind, damit sich alle wohl fühlen können. Wir wollten uns dieser Aufgabe aber unbedingt stellen, weil wir unsere Werte hinsichtlich sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit mehr nach aussen tragen und am Festival implementieren möchten. Zudem wollten wir uns auch auf Vereinsebene damit auseinandersetzen, umvorhandene Strukturen zu überdenken", so Daria weiter.

So stellt sich das B-Sides mit dem neu aufgestellten Konzept und den damit verbundenen Teams in die Reihe der Vorreiter:innen punkto Sicherheit und Awareness was Festivals angeht. Denn was bei alternativeren Clubs aus dem eher linken Milieu mittlerweile schon fast zum Standard gehört, ist bei Schweizer Festivals nach wie vor seltener anzutreffen.

Awareness und Sicherheit sind nicht ein und dasselbe

Daria führt weiter aus: "Während ich für die gesamte Dauer des Festivals mit einem freiwillig arbeitenden und ebenfalls von Taktvoll geschulten Awareness-Team vor Ort bin, ist gleichzeitig eine Disposition derSicherheitsfirma ‘Taktvoll Sicherheitskultur AG’ bei uns vor Ort, die sicherheitstechnische Aspekte mit und für uns abdeckt." Sicherheit und Awareness – ist das nicht dasselbe, oder hat zumindest eine grosse Überschneidung miteinander? Jein. Daria erklärt: "Zuerst einmal sind beides keine Produkte, die man einfach so einkaufen kann. Mit unserem Awareness-Team bieten wir offene Ohren und wache Augen auf eine sehr niederschwellige Art und Weise auf dem Festivalgelände an. Sie beobachten, suchen das Gespräch mit vielen Personen und helfen, wenn nötig. Zudem sind sie zwar durch eine grelle Weste erkennbar, aber nicht in einer Uniform unterwegs. Die Sicherheitsfirma, die ebenfalls bei uns auf dem Gelände vor Ort ist, verantwortet im Gegensatz dazu alle sicherheitstechnischen Fragen und interveniert auch körperlich, sollte physische oder psychische Gewalt oder Gefahr für einen selbst oder andere vorliegen. Mit Taktvoll haben wir hier einen Partner gefunden, der Sicherheitsfragen mit unseren Werten vereinbaren kann und mit seiner nach Awareness-Prinzipien arbeitet."

Tizian de la Fuente ist Teil der Filialleitung von Taktvoll in Luzern. Er selbst kennt das Nachtleben und das bunte Treiben an Festivals schon sehr lange und bewegte sich zunächst auch viel als Gast an kulturellenAnlässen verschiedenster Art.

Die Luzerner Filialleitung von Taktvoll: Tobias Arnold, Lou Keller und Tizian De La Fuente. (Bild: Emanuel Rucki)

Gegenüber frachtwerk erklärt er, weshalb er von der Perspektive des Besuchenden zur Aufgabe des Sicherheitsbeauftragten gewechselt ist: "Nicht selten bin ich im Ausgang in eine Situation gekommen, in der ich vielleicht Hilfe benötigt hätte, diese mir aber niemand bieten konnte. Zudem habe ich als weisser Mann kaum jemals eine belästigende Erfahrung im Ausgang gemacht, was aber auf viele Menschen, die sich nicht dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen, überhaupt nicht zutrifft. Mit diesen Erfahrungen und vielen Gesprächen zu diesen Themen bin ich zu meiner Aufgabe gelangt, die ich nun ausführe." Am B-Sides arbeitet Tizian mit seinem Team Schulter an Schulter mit dem Awareness-Team des Festivals. Ihr gemeinsames Ziel ist klar definiert und sie versuchen beide mit ihren klaren Aufträgen zu erreichen. Klar ist aber für beide: "Für einen sichereren Ort, an dem sich eine möglichst grosse Menge an Personen möglichst sicher fühlen können, ist nicht nur die Kooperation aller Team-Mitglieder wichtig, sondern auch jene der Gäste und Künstler:innen unabdingbar."

 Mehr Diskussionen und Fälle – und das ist gut so

Und ist es denn gelungen? frachtwerk fragte sich unter den Besuchenden umher und ist tatsächlich auf sehr positives Feedback gestossen."Ich bin froh, kann ich jemanden ansprechen, wenn ich Hilfe bräuchte", meint eine junge Frau zu uns und bestätigt somit den Tenor des Publikums.

Tizian und Daria zeigen sich am frühen Sonntagmorgen ebenfalls zufrieden. "Natürlich waren das Hauptproblem, wie meistens bei Veranstaltungen dieser Art, der übermässige Alkoholkonsum. Dies hat im Verlauf der drei Tagen immer mal wieder für Des-orientierung, Respektlosigkeit, ‘kleineren’ Übergriffen und aggressivem Verhalten geführt", so Daria. Grundsätzlich aber sei es am B-Sides wie in vergangenen Jahren sehr ruhig und die Stimmung fast immer überragend positiv gewesen. Klar ist: Wer ein Awareness-Team und aufmerksame Sicherheitskräfte vor Ort hat, verzeichnet mehr Diskussionen und Fälle.

Doch das sei auch die Idee, wie Tizian erklärt: "Wir sind alle im Gespräch mit den Menschen und sprechen, wenn wir Auffälligkeiten erkennen, sehr früh bereits Personen an, um zu fragen, wie es ihnen geht. Dadurch sind wir auf ziemlich viele Vorgänge im Bilde und haben somit mehr zu tun. Dafür eskaliert es aber viel weniger, es gibt weniger psychische und physische Gewalt und wir werden uns alle immer wie mehr bewusst, wie sehr wir mit unserem Handeln das Wohlbefinden von uns und von anderen beeinflussen können."

Daria schliesst ab: "Wir werden jetzt das erste Jahr mit einem Awarenessteam und reflektieren und uns auf dieser Grundlage weiterhin mit Sicherheits - und Awareness-Themen auseinandersetzen, damit immer weniger Grenzen überschritten werden und wir vielleicht ein Schritt näher an kollektive Verantwortungsübernahme kommen. So soll das B-Sides ein wohligerer und sicherer Raum werden."

 

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Infobox

Was ist Awareness überhaupt? Wenn du mehr dazuerfahren möchtest, informiere dich im Internet, beispielsweise unter dem folgenden Link