Transparency International ist eine Organisation, die weltweit Korruption und Geldwäscherei bekämpft. Die Schweizer Sektion engagiert sich auf zwei Ebenen. Sie setzt sich für eine bessere Gesetzgebung ein und überwacht den Gesetzesvollzug rund um Korruption in der Schweiz. Geschäftsführer von Transparency in der Schweiz ist Martin Hilti. Im Gespräch mit ihm erfahren wir, wie Korruption in der Schweiz aussieht, wie sie aufgedeckt wird und was man dagegen tun kann.
Frachtwerk: Menschen der Schweiz haben oft das Gefühl, Korruption sei etwas, das vor allem in anderen Ländern geschieht. Aber stimmt das wirklich?
Martin Hilti: Nein, das stimmt nicht. Dieser Eindruck mag vielleicht entstehen, wenn man den jährlichen CPI (Corruption Perceptions Index) von Transparency International anschaut. Das ist ein Index, der die Wahrnehmung der Korruption im öffentlichen Sektor ländervergleichend misst. Bei diesem schneidet die Schweiz konstant gut ab. Das ist erfreulich und das heisst, wenn ich zum Beispiel meinen Pass erneuern will, muss ich nicht den Beamten schmieren, wie das vielleicht in anderen Ländern an der Tagesordnung ist. Bei absoluter Betrachtung aber ist die Schweiz weit von den möglichen Bestwerten, die sie erzielen könnte, entfernt.
Was heisst das genau?
Das heisst, auch die Schweiz hat im öffentlichen Sektor regelmässig sogar strafrechtlich relevante Korruptionsfälle. Diese bilden nur die Spitze des Eisbergs, weil die allermeisten Fälle gar nicht erst auffliegen. Korruptionsprobleme beginnen aber schon viel früher, nämlich bei Vetternwirtschaft, Verbandelungen und damit verbundenen Interessenskonflikten.
Und wie kommt es in der Schweiz dazu?
Wir sind ein kleines Land, man kennt sich, war etwa zusammen in der Schule oder im Sportclub und begegnet sich dann wieder im beruflichen Kontext. Das ist nicht per se schlecht, kann aber zu Interessenskonflikten führen. Oftmals mangelt es an der nötigen Sensibilität, diesen Interessenskonflikt zu erkennen und korrekt damit umzugehen. Besonders virulent zeigt sich das im Bereich Lobbying. Wir haben eine zu starke Verbandelung zwischen Wirtschaft und Politik in unserem Land und das führt zu heiklen Konstellationen.
Könnten Sie ein Beispiel von einem Korruptionsfall in der Schweiz nennen?
Martin Hilti: Wir hatten gerade kürzlich einen besonders gravierenden Fall in Biel. Da wird Mitarbeitenden der Migrationsbehörden vorgeworfen, sie hätten Aufenthaltsbewilligungen gegen Geld und sexuelle Leistungen ausgestellt. Das ist ein Fall, da stellt sich die Frage von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und es laufen offenbar auch entsprechende Strafverfahren. Dann gibt es auch niederschwelligere Formen, wie wenn Politiker:innen gut entschädigte Nebenmandate annehmen. Das führt dann dazu, dass sich diese Politiker:innen in potenzielle Abhängigkeiten begeben und die Interessen der Unternehmen vertreten, die sie mandatiert haben, und nicht mehr diejenigen des Volks.
Sie haben schon den strafrechtlichen Aspekt angesprochen. Wie wird in der Schweiz Korruption gesetzlich gehandhabt?
Wenn ich von Korruption rede, dann meine ich den Missbrauch einer anvertrauten Machtstellung zu privatem Nutzen, der vieles umfasst. Die allerverwerflichsten Formen von Korruption, nämlich Bestechung und Vorteilsgewährung, sind im Strafgesetzbuch verboten. Dann gibt es verschiedenste Regelungen in anderen Gesetzen, um Korruption zu verhindern. Auch das Öffentlichkeitsgesetz ist wichtig, es statuiert, dass grundsätzlich öffentlich sein soll, was die Verwaltung macht. Diese Transparenz hilft wesentlich mit, um allfällige Unregelmässigkeiten zu erkennen und präventiv vorzubeugen.
Es gibt aber ebenso wichtige Bereiche, die in der Schweiz ungenügend oder gar nicht reguliert sind. Zum Beispiel Lobbying, was dazu führt, dass man Tür und Tor für problematische Verhaltensweisen öffnet.
Wie werden in der Schweiz Fälle von Korruption aufgedeckt?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Korruption und Geldwäscherei sind Delikte, die im Verborgenen stattfinden und alle Beteiligten haben das grösste Interesse daran, dass das so bleibt. Die Fälle, die auffliegen, bilden nur die Spitze des Eisbergs. Fast gegen 100% der Fälle dürften im Dunkeln bleiben.
Wie wäre es denn möglich, solche Fälle aufzudecken?
Eine ganz wichtige Rolle beim Aufdecken spielen Whistleblower:innen. Diese Personen sind aber heute ungenügend gesetzlich geschützt, was dazu führt, dass sie riskieren den Job zu verlieren oder je nachdem sogar eine Strafverfolgung am Hals zu haben. Ergo muss es nicht erstaunen, dass nur wenige Leute bereit sind, diese Risiken auf sich zu nehmen. Das führt dazu, dass Korruption meistens unentdeckt und ungestraft bleibt.
Wie sollte Whistleblowing organisationsintern denn gehandhabt werden?
Martin Hilti: Im Idealfall hat das Unternehmen freiwillig – denn das Gesetz verlangt das nicht – ein Meldeverfahren eingerichtet und der:die Whistleblower:in kann sich an eine Meldestelle richten, die dem Verdacht dann nachgeht. Wenn sich der Fall erhärtet, meldet diese den Fall weiter und dann wird idealerweise die Unregelmässigkeit behoben. Genau gleich ist es im öffentlichen Sektor. Aber auch dort sind die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben oftmals noch ungenügend.
Gibt es Möglichkeiten, präventiv gegen Korruption vorzugehen?
Unbedingt – das ist zu empfehlen. Jedes Unternehmen ist gehalten, eine Nulltoleranz zu pflegen bei der Korruption, sonst kann es sich selbst strafbar machen. Der erste Schritt ist, dass man das erkennen und wollen muss. Dann muss das Unternehmen regelmässig eine Analyse der Korruptionsrisiken vornehmen und risikogerechte Massnahmen treffen und verschriftlichen. Dann folgt der letzte, wichtigste Schritt, denn ein Papier allein nützt nichts: Man muss es leben! Und das erfordert eine entsprechende Unternehmenskultur.
Im öffentlichen Sektor geht es im Wesentlichen um dasselbe, einfach mit einem Unterschied: Hier gilt das Gesetzmässigkeitsprinzip. Das heisst, all diese Schritte müssen gesetzlich vorgesehen sein. Das ist aber oftmals ungenügend bis gar nicht geregelt. Da ist es auch nicht erstaunlich, dass es immer wieder zu strafrechtlich relevanten Fällen kommt.
Welche Bereiche oder Branchen sind besonders anfällig für Korruption?
Im öffentlichen Sektor sind das etwa Verwaltungszweige, die Aussenkontakte haben, indem sie beispielsweise Verfügungen erlassen oder Bewilligungen erteilen. Auch Verwaltungszweige mit Aufsichtsfunktionen oder Zugang zu finanziellen Mitteln sind betroffen. Ferner erhöhen Machtkonzentration und mangelnde Transparenz die Korruptionsrisiken. Im Privatsektor sind es etwa Bereiche wie Rohstoffe oder Pharma, was im Übrigen gerade Bereiche sind, in denen die Schweiz mit Gross- und multinationalen Unternehmen global präsent ist.
Gibt es Möglichkeiten für Privatleute, Korruption zu melden?
Das hängt von den Massnahmen und Instrumenten hab, die das betreffende Unternehmen oder Gemeinwesen geschaffen oder nicht geschaffen hat. Wie ich schon erwähnte, sind diese Massnahmen oftmals noch ungenügend, was Meldungen dann schwierig macht, wenn man keine Nachteile befürchten will.
Würden Sie sagen, die Lage der Korruption in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren verbessert oder verschlechtert?
Über das Ganze gesehen stagniert die Korruptionsbekämpfung in der Schweiz. Es gibt Bereiche, da konnten gewisse Verbesserungen erzielt werden, so beispielsweise im Bereich Transparenz über die Politikfinanzierung. Dann gibt es Bereiche, da kommen wir einfach nicht von der Stelle, wie zum Beispiel bei einem besseren gesetzlichen Whistleblowing-Schutz oder bei der Regulierung des Lobbyings.
Woran liegt das genau? Was müsste sich ändern, dass wir hier Fortschritte machen können?
Ich denke, es braucht insbesondere die nötige Sensibilität für die Thematik. Man muss erkennen, wie schädlich Korruption ist, gerade auch wenn es um subtilere Formen wie Vetternwirtschaft geht. Dann natürlich braucht es die Bereitschaft, dem auch Taten folgen zu lassen. Das mag sich dann je nach dem mit gewissen kurzfristigen Interessen reiben. Auf mittel- und langfristige Sicht lohnt sich Korruption - in welcher Erscheinungsform auch immer - einfach nicht. Sie ist Gift für die Demokratie, weil dann das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen leidet und dieses Vertrauen ist unabdingbar, damit eine Demokratie langfristig stabil funktionieren kann.