Von Kurzweiligkeit und ewigem Eis

Vor wenigen Tagen, am 29. Januar 2025, ging die 60. Ausgabe der Solothurner Filmtage zu Ende. Eine Woche lang wurde die Innenstadt durch verschiedenste Filmaufführungen und deren ca. 65'000 Besucher*innen belebt, ingesamt 162 Filme liefen im regulären Programm. Wir waren auch da und haben uns «Der Eismann» von Corina Gamma angeschaut, welcher ab 3. April in den Kinos zu sehen ist.

Autor:in:
Noah Brun
Titelbild:
Frenetic Films
Hinweise:

«Der Eismann», der eigentlich Konrad «Koni» Steffen hiess, war ein Schweizer Glaziologe, der mit seiner Forschung massgebend zur Gletscher- und Arktisforschung beigetragen hatte. Er betrieb das «Swiss Camp», eine Forschungsstation auf dem Eisschild Grönlands, von der aus über 30 Jahre hinweg von Forschenden ein Netzwerk an Messstellen und Wetterstationen aufgebaut und unterhalten wurde. Steffen Konrad verunglückte selbst im Jahr 2020 in der Nähe des Swiss Camps, als er in eine Gletscherspalte abstürzte. Corina Gamma, die Regisseurin des Filmes, hatte Konrad Steffen in der Vergangenheit bereits in Grönland begleitet und ihm nun mit «Der Eismann» seinen eigenen Dokumentarfilm gewidmet. Wir hatten das Vergnügen, mit der Regisseurin zu sprechen.

frachtwerk: Corina, «Der Eismann» ist nicht dein erster Film mit Arktisbezug. Wie kommt es dazu, dass du den Eisschild Grönlands bereits zum zweiten Mal filmisch festhältst?

Corina Gamma: Ich hatte durch meinen vorherigen Film «Sila And The Gatekeepers Of The Arctic» (2015) schon recht viel Material für «Der Eismann». Ich bin damals für meinen Film ins Swiss Camp gegangen und habe für diesen Konrad Steffen gefilmt. Damals dachte ich natürlich nicht, dass ich dieses Material für seine Biografie benutzen würde, sonst hätte ich das Ganze ganz anders gefilmt. Aber das ist manchmal mit Dokumentarfilmen so, man weiss nicht, wohin etwas führt, was für mich natürlich auch so spannend ist. Ich habe das gern, so «unscripted». Darum besteht der Dokumentarfilm vor allem aus Archivmaterial, abgesehen von den Interviews mit den Protagonist*innen.



frachtwerk: Hat dich dein vorheriger Film also auf dieses Themengebiet gebracht, wodurch du auch Konrad Steffen kennengelernt hast?

Corina Gamma: Ja, das ist auch schon wieder eine Weile her, als ich ihn kennengelernt habe. 2011 war ich im Swiss Camp.

frachtwerk: Also dokumentartypisch ein eher langanhaltendes Projekt, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Wie gestaltet sich der Prozess bei so einem Film? Wie hat sich das Projekt angebahnt? 

Corina Gamma: Ich habe «Sila And The Gatekeepers Of the Arctic» 2016 auch bereits in Solothurn gezeigt, und Konrad Steffen war dabei, um mit mir gemeinsam das Q&A zu machen. Später waren wir noch gemeinsam in Zürich an einem anderen Filmfestival (Global Science Film Festival) und gingen danach noch was Trinken.

Da fragte er mich: «Denkst du an ein Sequel, oder was meinst du, wie geht das weiter?» Ich sagte: «Koni, das Sequel möchte ich über dich machen.»

Ich habe dann langsam versucht, das Projekt in die Wege zu leiten, schrieb ein Proposal und schickte es an Koni.  Er fand es für gut und wollte mich dann auf eine wissenschaftliche Reise einladen, die leider ins Wasser fiel. Die dänische Regierung gab ihr Okay nicht, und das Jahr darauf war dann Covid. Es hat sich einfach nicht ergeben, und man denkt nicht daran, dass solche Chancen irgendwann vorbei sein könnten. Ich konnte also nicht mehr mit ihm filmen. Als ich ihn fragte, ob ich ins Swiss Camp kommen könnte, meinte er, es wäre zu gefährlich und kurz darauf passierte der Unfall. Die Idee einer Biografie war da, aber jetzt ist es eine andere Biografie geworden. Ich musste mich auf das Archivmaterial konzentrieren, das dann das Einzige war, was ich noch von Koni hatte.

frachtwerk: Die Vergänglichkeit spielt eine zentrale Rolle in deinem Film. Die Vergänglichkeit des Menschen, des Konrad Steffen, der so für die Arktisforschung gebrannt hatte, wird dem Klimawandel und der Vergänglichkeit der Eisdecken, die langsam schmelzen, gegenübergestellt. Wie war es, mit dieser Thematik zu arbeiten, und wie hast du die Überschneidung dieser zwei verschiedenen Arten der «Vergänglichkeit» gehandhabt?

Corina Gamma: Es war schon eine Herausforderung, das so zu analysieren, weil ich das Ganze auch nur von meinem eigenen Standpunkt her verarbeiten konnte. Ich habe versucht, Koni zu verstehen, wie er seine Umgebung wahrgenommen hat. Ihm war es in dieser Umgebung (in der Arktis) wohl, er hat da reingepasst. Und ich hatte auch ein bisschen das Gefühl, dass meine eigene Leidenschaft für die Arktis mir ein wenig dabei geholfen hat. Ich wollte den Ort zeigen, wo ein Mensch sagen kann: «Hier kann ich loslassen.» Ich glaube, ihm ist dieser Ort eingefahren auf genau diese Art, er konnte dort alles liegen- und gehenlassen.

Er war so vielbeschäftigt in seinem Berufsleben, hat viele Anfragen gekriegt, hat an zwei verschiedenen Universitäten unterrichtet, war Direktor des Swiss Polar Institute und des WSL (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) und dann hatte er noch das Swiss Camp und ich glaube das war für ihn einfach der Ort, an dem er wieder zu seinem Ursprung zurückkommen konnte. Und deshalb wollte ich das auch ein wenig betonen, was für eine Bedeutung eine Landschaft für einen Menschen haben kann. Es war bestimmt auch sein Metier, das Material, das er untersuchte, aber auch weg von der Wissenschaft hatte er diese Leidenschaft für dieses Gebiet und mich interessierte es, wie die Umgebung und der Mensch eine Symbiose eingehen können. Das habe ich dann probiert, einzufangen.

frachtwerk: Im Film wird Waleed Abdalati interviewt, der mittlerweile Direktor des Cooperative Institute for Research in Environmental Sciences CIRES an der Universität von Boulder, Colorado ist, wo Koni einst sein Professor war. Abdalati sagte über seine eigene Zeit in der Arktis, dass man sich in so einer Umgebung nicht klein, sondern «brief», also «kurz» oder auch «kurzlebig» fühlt. Dieses Zitat halte ich für besonders spannend, weil es ja zum Ausdruck bringt, dass das alles schon vorher existierte und auch nach dem Menschen (wenn auch anders) weiterhin existieren wird. 



Corina Gamma: Ja, es ist eine Landschaft, in der man sich sehr ursprünglich fühlt. Es gibt kein Leben, und wie auch Craig Childs (Autor und ebenfalls im Film) sagt, du bist quasi dein eigener Gott. Das Einzige, dass sich in dieser Landschaft bewegt, das Wärme abgibt und lebt. Um dich herum ist eine gefrorene Welt, die über Millionen Jahre hinweg erstarrt ist. Und das gibt einem schon das Gefühl, dass man selbst eigentlich sehr kurzlebig ist.

frachtwerk: Konrad Steffen war ein sehr kunstinteressierter Mensch, der die Kunst auch nutzte, um seine Standpunkte bezüglich des Klimawandels zu unterstreichen. Da du und Koni ja auch gemeinsam über Filme und das Machen dieser geredet habt: Denkst du, dass er gegenüber dem Dokumentarfilm als künstlerisches Medium ähnlich eingestellt war? Dass er diesen als eine Chance sah, seine Leidenschaft und sein Wissen an ein Publikum zu bringen?

Corina Gamma: Ganz bestimmt! Er war sehr kommunikations- und kunstinteressiert, und er hat erkannt, dass die Kunst eine Form von Kommunikation ist. Wir haben das auch zu seinen Lebzeiten noch diskutiert: Er hatte immer ein Zelt im Swiss Camp frei für Journalist*innen, Kunstschaffende, Schriftsteller*innen, Filmschaffende und so weiter. Aus diesem Anlass wurde auch Craig Childs ins Swiss Camp eingeladen, dessen Zelt ich dann später übernommen habe. Ein Zelt war immer für eine*n Nicht-Wissenschaftler*in. Das fand ich so toll. Wie in einem Haus, in dem immer ein Zimmer frei ist, für jemanden, der das alles einmal erleben will, um es dann auf eigene Art zu interpretieren.

Es gibt sicher auch Wissenschaftler*innen, die versuchen, die Interpretation ihres Fachgebiets zu kontrollieren. Konrad Steffen jedoch liess allen immer volle Freiheit. Er war selbst Fotograf, was sicherlich hilfreich war. 

frachtwerk: Das merkt man auch im Footage, dass ja auch von Menschen stammt, die mit ihm dort waren. Da sind ja auch Aufnahmen dabei, bei denen es gar nicht darum geht, wissenschaftliche Prozesse zu dokumentieren, sondern einfach darum, aufzuzeigen, wie es dort ist, oder?

Corina Gamma: Ja, und wie man das aufnimmt, und wie man sich dort fühlt, und wie man selbst schauen muss, wie man mit all diesen Herausforderungen umgeht. Jeder muss auch für sich schauen, und jeder wird an eigene Grenzen gebracht. Ich wurde auch an eigene Grenzen gebracht und habe mal gedacht: «Boah, warum bin ich eigentlich hier?!» Das wollte Koni auch so. Er wollte, dass Leute die eigenen Grenzen erleben. Er hat kein Hotel gebaut, die Zelte hatten keine Heizung. Ich musste damals zum Beispiel eine Schachtel für das Swiss Camp packen, mit Dingen, die ich brauchen würde, damit diese dann dort hinaufgesendet werden könnten. Ich hatte eine Bettflasche mitgenommen, und diese dann im Swiss Camp am ersten Abend mit heissem Wasser befüllt. Innerhalb von einer Viertelstunde war das ein Eisblock! Und ich dachte mir: «Was mach ich mit diesem Eisblock jetzt?» Oder auch solche Sachen wie: «Wie wäscht man sich?» Es hat dort keine Dusche! Ich dachte, ich wasche mich einfach mit einem nassen Lappen, aber auch der war ein Eisblock, du hast die Lappen nicht mal mehr benutzen können, weil sie gefroren waren!

Wenn ich so zurückdenke, denke ich natürlich: «Was habe ich mir denn da überlegt?», aber man lernt so wahnsinnig viel, auch aus dem Nichtsmachen. «Ich bin jetzt da, mit meiner Kamera, aber was mach ich jetzt damit?» Du kannst nirgends hingehen, und ja, das ist schon noch spannend. Eben, solche trivialen Sachen, wo man sich dann sagen muss «Ja gut, die anderen waschen sich ja auch nicht, dann wasche ich mich auch nicht!»

frachtwerk: Das ist vielleicht ein guter Übergang zum filmischen Element. Hat es Schwierigkeiten gegeben, in einer solchen Gegend zu filmen?

Corina Gamma: Ich hatte eigentlich drei Kameras dabei: Meine analoge Hasselblad, eine Sony-Filmkamera und eine Canon DSLR-Kamera. Mit der Hasselblad war das das eine Herausforderung, wir hatten zu viel Wind, aber ich habe dennoch ein paar Bilder machen können. Vom Filmen her mit dem Camcorder ging es, das war eigentlich wirklich eine gute Kamera. Als Beispiel: Ich wollte die gesamte Mitternachtssonne filmen, angefangen in der einen Ecke des Frames zur anderen rüber. Ich habe das aufgestellt und dachte: «Ja, diese vier Stunden stehe ich jetzt sicher nicht hier draussen, es ist ja viel zu kalt!» Ich bin dann ins Zelt und habe mich in meinen Schlafsack eingemummelt – und bin prompt eingeschlafen, als ich aufwachte, war ich mir sicher, dass diese Kamera begraben vom Schnee sein würde, dass sie kaputt gegangen ist und ich nichts mehr filmen können würde – Aber sie lief einfach immer noch! Sogar der Akku hat trotz der Kälte bei -20 Grad gehalten. Da habe ich dann gestaunt. Also eben, wenn du gutes Equipment dabei hast, geht das. Es gab auch schöne Tage – Wenn die Sonne draussen war, war es ziemlich angenehm. Es war, glaube ich, schon immer unter 0, oder so um 0 Grad. Wenn du genug Kleider anhast, fühlt sich die Sonne trotzdem gut an. So schlimm ist es nicht! In den Bergen ist es ja auch manchmal kalt.

frachtwerk: Der ganze Film ist in mehreren Aspekten vom Thema Schicksal geprägt. Wie stehst du zu diesem Thema oder was es für dich bedeutet?



Corina Gamma: Das Schicksal bedeutet eigentlich für mich, dass wir alle ein sehr kurzes Leben haben. Man muss sich treiben lassen, von dem, was auf einem zukommt. Man kann das Leben nie zu sehr zu kontrollieren. Ich selbst probiere auch, offen zu sein und mir zu sagen: «Wenn irgendwo eine Türe aufgeht, dann gehe ich da rein!». Das Schicksal offeriert dir das ja auch, diese Möglichkeiten, und wenn etwas nicht so rauskommt, wie man etwas will oder wie man etwas geplant hat, dann ist das einfach auch so! Die Menschen probieren alles immer zu kontrollieren, die Natur und das Leben zu kontrollieren.

Schlussendlich, wie es bei Koni passiert ist: Er hat sich in eine Umgebung versetzt, wo er sich auch vom Schicksal treiben lassen hat. Er ist jetzt eigentlich dort, wo er gerne war und der Kreis hat sich geschlossen. Er hat auf dem Gletscher angefangen und ist nun auf dem Gletscher verstorben. Zum Teil ist es Schicksal, zum Teil ist es auch der Ort, wo er sich immer wieder versetzt hat. Das ist vielleicht das Einzige, was wir kontrollieren können: Wo wir uns hintreiben lassen. Ich kann das auch fast nicht erklären. Das Wort selber ist ja auch «Chance», aber dennoch hat es mit deinen Entscheidungen zu tun. Vielleicht hat die innere Stimme auch zum Unfall geführt. Bei ihm war es wirklich eine innere Berufung, die er dann entdeckt hat und der er gefolgt ist.

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