Eine echte Gefahr: Kinderbilder im Internet

Social Media wird oft als Tagebuch wahrgenommen. Hier dokumentieren Menschen ihr Leben und vergessen dabei manchmal, wie unkontrolliert sich ihre Informationen und Daten verbreiten. Natürlich hat jeder Mensch das Recht, sich im Netz zu präsentieren. Aber das gilt nur für den eigenen Körper. Die eigenen Kinder in den sozialen Medien zu posten ist nicht nur ethisch verwerflich – es ist eine reale Gefahr.

Autor:in:
Bettina Wyss

Kinder sind der ganze Stolz der Eltern. Sie sind süss, zaubern den Menschen ein Lächeln ins Gesicht, sagen urkomische Dinge oder verblüffen mit besonderen Fähigkeiten. Am liebsten würde man das alles der ganzen Welt zeigen. Aber das kann fatale Folgen haben. Denn Kinderbilder oder Videos gehören nicht ins Internet. Denn auch wenn Eltern die Entscheidungsgewalt über ihre Kinder haben, sind sie dennoch verpflichtet, für den Schutz ihrer Kinder zu sorgen. Das Internet ist alles andere als ein Safe Space.

Und doch wimmelt es auf Instagram und TikTok von Familienblogger:innen, die den kompletten Alltag ihrer Kinder zeigen. Werden sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihre Kinder damit einer Gefahr aussetzen, kommt in der Regel das Argument, dass die Entscheidung bei den Eltern läge. Doch es ist keine Entscheidung. Es ist eine Verantwortung. Da gibt es keine zwei Optionen.

Ein kleines Quiz

Wenn Eltern mit ihrem Kind unterwegs sind und bemerken, dass ein komischer Typ im Gebüsch sitzt und das Kind fotografiert – was wäre eine normale Reaktion?

A) Den Mann konfrontieren, zwingen, die Bilder zu löschen, die Polizei rufen.

B) Dem Mann fürs Kompliment danken und ihm ein paar weitere herzige Bilder des Kindes in die Hand drücken.

Na? Das war jetzt kein so schwieriges Rätsel. Traurigerweise ist es die Realität, dass es nach wie vor viele Eltern gibt, die in der digitalen Welt die zweite Variante wählen. Nur weil man die Täter:innen nicht sieht, bedeutet es nicht, dass sie nicht da sind. Man würde sein Kind ja auch nicht in ein Haifischbecken werfen, nur weil die Flossen nicht zu sehen sind.

Pädokriminelle bedienen sich in sozialen Netzwerken

Und ja, die Täter:innen sind da. «Das Risiko, dass die geposteten Kinderbilder, missbraucht werden, ist leider hoch», sagt Tamara Parham von Kinderschutz Schweiz. «Und dabei spielt es keine Rolle, ob die Bilder von Influencer:innen oder Privatpersonen hochgeladen werden.» Es gäbe zahlreiche pädokriminelle Plattformen im Netz, erklärt sie. «Die Gefahren beginnen bereits im sogenannten Clearweb, also auf allgemein zugänglichen Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok. Pädokriminelle müssen nicht tief ins Darknet eintauchen, um Bilder zu finden – sie bedienen sich direkt in sozialen Netzwerken, auf denen Eltern und Influencer:innen vermeintlich harmlose Alltagsfotos ihrer Kinder teilen.»

Wer jetzt denkt, dass nur Bilder von leichtbekleideten Kindern oder in eindeutigen Posen gefährdet sind, irrt. In pädokriminellen Netzwerken wird zwischen «Nude-» (nackte oder teilbekleidete Kinder) und «Non-Nude»-Bildern (Alltagsbilder, auf denen Kinder vollständig bekleidet sind) unterschieden. Innerhalb dieser Kategorien gibt es noch weitere Unterteilungen. Und dabei werden die Bilder auf einer Skala bewertet. Kategorien wie «fuckable» sind dabei Standard.

Besonders erschreckend: Auch scheinbar harmlose Alltagsbilder werden missbräuchlich genutzt – sei es durch verstörende Kommentare, Bildbearbeitungen (etwa durch den Einsatz von KI) oder durch das erneute Hochladen auf pädokriminellen Plattformen. Sobald das Gesicht eines Kindes auf einem Bild erkennbar ist, besteht das Risiko, dass das Foto zweckentfremdet wird. Egal, ob man ein:e Influencer:in ist oder eine Privatperson.

Die Gefahr ist real

Das Bewusstsein, welche Gefahren für Kinder im Internet lauern, ist noch nicht bei allen Menschen angekommen. Im Alltag wirken die Gefahren realer. «Im Alltag achten Eltern darauf, wer mit ihren Kindern interagiert, was sie über ihre Kinder preisgeben und welche Grenzen sie setzen. Diese Sorgfalt sollte auch im digitalen Raum gelten», sagt Tamara Parham. «Ein entscheidender Punkt ist die Frage: Was bringt es meinem Kind konkret, wenn ich es auf Social Media poste? Oft wird schnell klar, dass es in erster Linie die Bedürfnisse der Eltern sind, die durch solche Postings erfüllt werden – nicht die des Kindes.»

Tamara Parham betont, wie wichtig Aufklärung ist: «Eltern sollen besser informiert und sensibilisiert werden – sei es durch Kampagnen, Elternabende oder andere Plattformen. Doch es braucht mehr: Die grossen Plattformen müssen stärker in die Verantwortung genommen werden, um sicherzustellen, dass die digitale Identität von Kindern und Jugendlichen geschützt ist, sei es in Bezug auf Privatsphäre, Sicherheit oder ihre spätere Zukunft. Letztlich ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das Thema in den öffentlichen Diskurs zu rücken und den Schutz von Kinderbildern im Netz sicherzustellen. 

Mama, warum hast du das getan?

Bei Kinderbildern im Netz wird (zu Recht) oft in erster Linie über die Gefahren des Darknets und den Missbrauch der Bilder durch pädophile Menschen gesprochen. Was jedoch ebenso wichtig ist: Ein Kind hat das Recht am eigenen Bild. Die Kinder können sich dazu entweder gar nicht äussern oder sind durch ihr junges Alter nicht in der Lage, die Konsequenzen davon einzuschätzen. Aber stell dir vor, du wirst erwachsen und realisierst, dass wildfremde Menschen über deine Kindheit Bescheid wissen, sich an deine ersten Schritte oder dein Kinderzimmer erinnern können, zugeschaut haben, wie deine Mama dich getröstet hat, als du krank warst, und Fotos von dir auf ihrem Handy gespeichert haben. Stellt es euch vor. Nichts daran ist schön. Es ist vielmehr verstörend. Das kann nicht rückgängig gemacht werden. Und wenn du Pech hast, wurdest du in der Grundschule ausgelacht, weil Bilder von dir kursierten, als du dein erstes Rüebli gegessen hast.

Das ist nicht okay. Es gibt kein Argument dafür, sein Kind im Internet zu zeigen. Weil man es damit für alle (und damit meine ich wirklich alle) zugänglich macht.

Verlosung

Infobox

Die wichtigsten Infos von Kinderschutz Schweiz

Die Fotos können zu Cyber-Grooming führen

Haben Kinder eigene Social-Media-Profile, können sie über private Nachrichten belästigt werden. Cyber-Grooming heisst: Personen nehmen gezielt mit Kindern im Internet Kontakt auf, um eine sexualisierte Beziehung aufzubauen. Werden Bilder zusammen mit sensiblen Daten wie dem Wohnort veröffentlicht, können diese Übergriffe im schlimmsten Fall auch im realen Umfeld stattfinden. Für Kinder und Eltern ist es nicht leicht, sofort zu erkennen, wer am anderen Ende der «Leitung» sitzt.

Die Fotos können zu psychischen Belastungen führen

Das ungefragte Teilen von Kinderfotos und -videos durch Eltern und Erziehungsberechtigte verletzt die Privatsphäre der Kinder. Sharenting kann Mobbing, Cybergrooming und andere Gefahren mit sich bringen. Solche Erfahrungen können bei Kindern später zu Vertrauensverlust gegenüber Erwachsenen und psychischen Belastungen führen. Dies liegt einerseits daran, dass ihre Rechte in jungen Jahren missachtet wurden, und andererseits daran, dass sie eine unfreiwillige digitale Identität erhalten haben, die sie bis ins Erwachsenenalter verfolgen kann.

Die Fotos können unangemessen bearbeitet werden

Einmal hochgeladen, verliert man den Überblick darüber, was mit dem Bild/Video geschieht. Für User:innen ist es schwer nachvollziehbar, ob und von wem die Bilder/Videos auf anderen Plattformen erneut geteilt werden. Die Künstliche Intelligenz verschärft zudem das Risiko, dass Bilder und Videos in unangemessener Weise bearbeitet werden. Es gibt bereits bekannte Fälle, wo sog. «KI-Künstler» Darstellungen oder Videos von sexualisierter Gewalt an Kindern generieren und in unterschiedlichen Foren teilen.

Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre

Bereits vor über 10 Jahren hatten 81 % der Kinder aus zehn Industrieländern noch vor ihrem zweiten Geburtstag einen digitalen Fussabdruck. Die Babys von damals sind heute Jugendliche, zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Von ihnen befinden sich vermutlich heute noch Babybilder im Internet. Es sind Bilder, zu deren Veröffentlichung sie keine Einwilligung gegeben haben und die sich auch nicht mehr einfach so löschen lassen.