Faszination Verbrechen

Seit einigen Jahren boomen True-Crime-Formate, allen voran Podcasts. Doch ist True-Crime ethisch vertretbar? Immerhin beschäftigt sich das Genre mit dem Schicksal echter Menschen. Und warum sind Menschen so interessiert am Leid anderer Personen? Eine Spurensuche.

Autor:in:
Adina Steimer
Titelbild:
Unsplash
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Sie heissen «Mordlust», «Zeit Verbrechen» oder «Aktenzeichen XY»: True-Crime-Formate erleben seit gut zehn Jahren einen regelrechten Hype. Losgetreten hat die Welle unter anderem der US-Podcast «Serial». Vorwiegend Podcasts erfreuen sich einer treuen Hörer:innenschaft, aber auch Serien auf Streamingdiensten wie Netflix erreichen hohe Abrufzahlen, zum Beispiel die Verfilmung des Serienmörders Jeffery Dahmer. Über eine Milliarde Stunden wurde die Serie auf dem Streamingdienst bisher angeschaut, sie gehört somit zu den erfolgreichsten Serien auf Netflix.

Christine Lötscher ist Professorin für Populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich. Sie sagt, dass True-Crime-Formate deshalb so beliebt seien, weil sie sich mit einem Aspekt der Realität befassen, der schwer zu verstehen und zu ertragen sei. «Die Podcasts werden oft als sensationslüstern abgetan, wirken aber auf die Hörer:innen eher beruhigend – sie bieten Hintergründe und Erklärungen für entsetzliche Verbrechen und versuchen so, ein Stück Ordnung wiederherzustellen», so Lötscher. Weiter führt sie aus: «Indem sie die Verbrechen in eine Erzählung verpacken, bieten sie, genau wie fiktionale Kriminalerzählungen, Gründe und Hintergründe für schreckliche Taten. Sie geben dem Entsetzen über eine Tat – etwa im Fall Gisèle Pelicot – aber auch Ausdruck und einen Raum, um sich mit den eigenen Ängsten vor Gewalt, die zum Teil aus dem engsten Umfeld kommt, auseinanderzusetzen.»

Hohe Beliebtheit bei Frauen

Eine Umfrage der seven.one-Gruppe aus dem Jahr 2022 ergab, dass fast 93 Prozent der befragten Personen weiblich sind. Auch die Podcast-Hosts sind oft Frauen. Dass viele Frauen von True-Crime-Formaten fasziniert seien, hänge damit zusammen, dass Frauen sehr häufig Opfer von besonders grausamen Verbrechen werden. Dies sei insbesondere bei sexualisierter Gewalt und Femiziden der Fall. Studien zeigen, dass sich viele Frauen von True Crime Unterstützung im Bereich der Prävention erhoffen, sagt Expertin Christine Lötscher.

Auch Sheryn Locher und Anja Leibacher, Hosts des Schweizer True-Crime-Podcasts «Lebenslänglich» sind fasziniert von wahren Verbrechen. «Uns faszinieren sicher zum einen die Hintergründe der Taten, dass Menschen überhaupt in der Lage sind, solche Verbrechen zu begehen. Verbrechen, die für die Durchschnittsbevölkerung komplett unverständlich sind. Zum anderen interessieren uns aber auch die rechtlichen und psychologischen Hintergründe der Taten», sagen Locher und Leibacher. «Lebenslänglich» wird gemäss Angabe der Hosts zu fast 70 Prozent von Zuhörerinnen gehört. Die regionale Verteilung variiert von Folge zu Folge, sie möchten ein Publikum in der ganzen Schweiz abholen.

Anja Leibacher und Sheryn Locher (Quelle: zvg)

Ethisch fragwürdig?

Und wie steht es um den ethischen Aspekt? Dazu haben Sheryn Locher und Anja Leibacher eine klare Meinung: «True Crime zu begehen, ist ethisch nicht vertretbar, darüber zu berichten allerdings schon. Wieso sollten genau die schlimmen Taten verschwiegen werden oder nur in einer Randnotiz in der Zeitung auftauchen?» Weiter sagen die beiden Podcasterinnen, dass die Opfer es verdient hätten, dass deren Geschichte nicht vergessen ginge und aus diesen Verbrechen und zum Teil auch Versäumnissen der Justiz oder anderer Instanzen gelernt werden könne. So könne sich auch die Gesellschaft weiterentwickeln und aus Vergangenem werde häufig gelernt.

Dass nicht alle Verständnis für True-Crime aufbringen, können Locher und Leibacher nachvollziehen. Sie entgegnen, dass sie zum einen alles daran setzen, den Geschichten gerecht zu werden, und zum anderen, dass sie viele positive Rückmeldungen auf ihren Podcast erhalten. Und: Manchmal würden ihnen Personen schreiben, die sich wünschen, dass deren Geschichte erzählt wird.

Auch Expertin Christine Lötscher sieht True-Crime als grundsätzlich ethisch vertretbar, merkt aber an, dass es darauf ankomme, wie ein True-Crime-Podcast oder eine Serie gemacht sei. Ein differenzierter Umgang mit Fakten und Beweislage, Respekt gegenüber den Opfern seitens der Macher:innen und das Vermeiden von sensationslüsternem Erzählen der Geschichten seien zentral. «Denn theoretisch kann man in True Crime viel über die Funktionsweise von Gesellschaft und Macht lernen. Doch dies muss von Fall zu Fall entschieden werden», ergänzt Lötscher.

Als abschliessendes Fazit meint Lötscher: «Wichtig ist, dass man nicht vergisst: Gewalt ist eine traurige gesellschaftliche Realität, und True-Crime-Formate reagieren darauf.»

Verlosung

Infobox

Der Podcast «Lebenslänglich?» kommt nach Luzern. Sheryn Locher und Anja Leibacher nehmen ihren Podcast live im Parterre Luzern mit Publikum auf.

Wo? Parterre KLUB

Wann? Donnerstag, 10. April 2025, 20 Uhr

Tickets? Gibt's hier!