Ein Konzert als Prüfung der Leidensfähigkeit
Die Vorfreude auf dieses Konzert war gross. Ich konnte es kaum erwarten, in der Musik aufzugehen, mich von der Atmosphäre mitreissen zu lassen, ja, vielleicht sogar eine emotionale Erweckung zu erleben. Doch dieser naive Gedanke wurde bereits in den ersten 30 Sekunden des Konzerts brutal aus meinem Bewusstsein geprügelt. Statt klanglicher Ekstase erwartete mich ein verbaler Dauerbeschuss aus der Kategorie «Sarahs Beziehungsdrama trifft auf Kevins Steuererklärung».
Statt dass sich das Publikum den wunderbaren Lyrics des Sängers widmete, musste ich zusehen, wie sich der Konzertsaal in ein geselliges Kaffeekränzchen verwandelte, bei dem zufällig auch eine Band spielte. Einige «Zuhörer:innen» schienen in kollektiver Selbstvergessenheit an einer Art Quassel-Marathon teilzunehmen, bei dem der Weltrekord im Gleichzeitigen-Lautstarke-Gespräche-Führen gebrochen werden sollte. Zwischen Erörterungen über Mietzinserhöhungen und Diskussionen zu «How I Met Your Mother» und «Friends», begann ich ernsthaft an meiner Fähigkeit, gesellschaftliche Freude nachzuempfinden, zu zweifeln. Während andere Zuschauer peinlich berührt auf die Bühne starrten und versuchten, trotz Störgeräuschen in die Musik einzutauchen, haben die Dauerquassler jeweils eine ganz eigene Mission: Sie sind nicht da, um zu hören. Sie sind da, um gehört zu werden.
Wie kann man sich auf ein episches Gitarrensolo konzentrieren, wenn gleichzeitig hinten links enthusiastisch über die richtige Zubereitung von Porridge diskutiert wird? Ich wollte eigentlich nicht erfahren, dass die Schwester von Katja am Wochenende versehentlich eine Couch in der falschen Farbe bestellt hat, sondern hatte mich auf Songs gefreut, die ich bis ins Mark auswendig mitsingen kann. Mitzusingen ist aber schwer, wenn ich mich frage, wieso jemand 50 Franken für ein Ticket zahlt, um dann das Konzert zu ignorieren und stattdessen einen mehrteiligen Podcast in Echtzeit aufzuführen.
In der Mitte des Konzerts wird's emotional. Auf der Bühne jedenfalls. Der Sänger spricht über den Krieg, über die schweren Zeiten und darüber, dass es Menschen an Machtpositionen gibt, denen wir uns entgegenstellen sollen. Ein Song folgt – zerbrechlich und voller Verletzlichkeit. Ein berührender Moment. Theoretisch. Immerhin in den ersten paar Reihen scheint es Menschen zu geben, die spätestens jetzt ihre Lasagne-Rezepte in etwas angemessenerer Lautstärke miteinander teilen. Doch in den hinteren Reihen gibt's noch immer Gelächter, Gepolter, Geklirre. Der Song wird langsam intensiver, lauter. Der Sänger hat die Augen geschlossen und es ist nicht eindeutig zu erkennen, ob er sich im akustischen Wimmelbuch des Publikums versucht zu konzentrieren oder ob er es tatsächlich schafft, das Gelaber auszublenden und in seine Musik einzutauchen.
Ich habe an diesem Konzert viel gelernt. Insbesondere die ausführliche Analyse der Aperol-Preise und ihrer historischen Entwicklung seit 2015 sind mir in Erinnerung geblieben. Die wurden vorne rechts nämlich heiss diskutiert, während die Band eine Hymne an eine vergangene Liebe aufs Parkett goss.
Und damit nicht genug
Als würde das ewige Gequatsche nicht genug nerven, gibt's ja auch noch die Handy-Armee. Das eigentliche Konzert findet nicht auf der Bühne statt, sondern auf Instagram, in verzerrten, verwackelten Storys mit dramatischen Unterschriften wie «BESTES KONZERT MEINES LEBENS» – untermalt von Tonaufnahmen, die klingen, als würde eine Waschmaschine explodieren. Während die Band sich auf der Bühne den musikalischen Rücken bricht, wird in Reihe vier die richtige Pose für das ultimative Konzert-Selfie geplant. Hauptsache, man kann am nächsten Tag erzählen, dass man dabei war.
Der letzte verzweifelte Versuch, die Menschheit zu retten
Und doch, ein revolutionärer Gedanke: Was wäre, wenn man sich einfach mal – und ich weiss, es ist radikal – auf die Musik konzentrieren würde? Einfach mal zuhören. Einfach mal den Mund halten. Einfach mal das Handy in der Tasche lassen und keine Angst zu haben, unbedeutend zu werden, nur weil man nicht live mitstreamt.