Mad Men: Arschlöcher mit Stil und Herz

Vielleicht wirst auch du sie zuerst nicht mögen, die Mad Men. Lässt du dich aber auf sie ein, wirst du nach dieser Serie Werbung mit ganz anderen Augen betrachten.

Autor:in:
Soley Tobler
Hinweise:

Was steckt dahinter

Mad Men ist eine US-amerikanische Dramaserie, die von 2007 bis 2015 produziert wurde, geschrieben von Matthew Weiner. Sie spielt in den frühen 1960er Jahren und beleuchtet das Treiben in der New Yorker Werbebranche. Im Mittelpunkt steht Don Draper, ein ehrgeiziger und talentierter Creative Director des Werbeunternehmens Sterling Cooper. Berufliche Konkurrenzkämpfe, private Beziehungen, Konflikte und aussereheliche Affären verleihen dem Leben des Hauptcharakters viel Abwechslung. Während der sieben Staffeln wird der Fokus von Draper zunehmend erweitert, indem auch die Dynamiken seines Arbeitsteams und seiner Familie beleuchtet werden. Die Serie thematisiert gesellschaftliche Veränderungen, darunter Geschlechterrollen, Emanzipation, Rassismus und die aufkommende Konsumkultur.

Identität der Charaktere

Matthew Weiner, der Schöpfer von Mad Men, wollte nach eigenen Aussagen, die Geschichte eines Mannes erzählen, der nach aussen hin erfolgreich und bewundernswert erscheint, innerlich jedoch zerrissen und moralisch fragwürdig ist. Von Anfang an ist die Identität der Figuren – insbesondere die von Don Draper – das zentrale Thema der Serie. Weiner betonte, dass Don nicht durch seine «Coolness» hervorsticht, sondern durch die Spannung zwischen seinem äusseren Auftreten und seinem inneren Wesen. Diese Dualität ermöglicht es vielen Zuschauer:innen, sich mit der Hauptperson zu identifizieren.

Als ich die Serie zu schauen begann, dachte ich mir zunächst, was für Arschlöcher diese Charaktere doch sind. Doch beginnt man diese «Arschlöcher» schnell zu mögen. Im Verlauf der Serie stelle ich mehr und mehr fest, dass die Figuren mit enorm vielen Problemen zu kämpfen haben. Ich denke, genau diese präzise Ausarbeitung der Figuren macht die Serie so einzigartig. Man taucht wirklich in das Leben dieser Menschen ein und beginnt, ihnen nachzufühlen.


Visueller Stil und Authentizität

Die Identität der verschiedenen Charaktere wird stark durch ihr visuelles Auftreten unterstrichen. Die zuständige Kostümbildnerin verleiht den Figuren einen perfekt sitzenden Look. Sie kleidet die Darsteller:innen zeitgemäss im Stil der 60er-Jahre ein, von passenden Farbpaletten bis hin zur zeitgetreuen Unterwäsche. Mit den Kostümen kommunizieren sie, wer die Figuren sind, ohne dass diese ihre Identität verbal preisgeben müssen.

Besonders beeindruckt mich die visuelle Verwandlung von Peggy Olsen. Sie beginnt als junge Sekretärin, die durch ihr Können und ihren Willen im Verlauf der Serie zu einer erfolgreichen Werberin wird. Es ist besonders schön zu sehen, wie sie ihren Schulmädchen-Look ablegt und nach und nach zu einer selbstbewussten, starken Frau wird. Die Kostümbildnerin hat bei ihr eine beeindruckende Transformation vorgenommen. Generell finde ich Peggy Olsen eine der stärksten Figuren dieser packenden Serie – sie ist einer der Hauptgründe, weshalb ich die Serie schaue. Ihr Ehrgeiz und ihre emanzipierte Art inspirieren mich sehr.

Auch das Szenenbild und die Kulisse der Serie fangen den Stil der 60er-Jahre perfekt ein und lassen ihn regelrecht wieder aufleben. Es beeindruckt mich zudem, wie die Serie die stilistischen und kulturellen Veränderungen dieser Zeitgeschichte nahtlos in die Gestaltung integriert. Als Fan des 70er-Jahre-Designs freute ich mich besonders, als erste Möbelstücke dieser Ära in der Serie auftauchten. Die Serie gibt der Kulisse genug Raum, um zu glänzen, und macht sie zu einem wichtigen Teil der Erzählung.


Die goldene Werbezeit

Die in der Werbebranche beschäftigten Fachleute wurden im US-amerikanischen Sprachgebrauch als «Mad Men» bezeichnet. Aufgrund der hohen Konzentration von Werbeagenturen in New York City und in Anspielung auf das für die Kreativbranche typische, unkonventionelle Denken, entstand in den 1950er-Jahren die selbstironische Bezeichnung «Mad Men». Die Darstellung der Werbebranche in der Serie finde ich enorm gelungen, weil sie neben dem, dass sie die Handlung bereichert, auch einen tiefen Einblick in die Dynamiken dieser kreativen und oft herausfordernden Arbeitswelt ermöglicht. Da ich selbst als Grafikerin tätig bin, kann ich mich besonders mit dem Prozess der gestalterischen Findung von Kampagnen identifizieren, der in der Serie gezeigt wird.

Faszinierend finde ich zudem, wie realistisch die Serie grosse Unternehmen wie Jaguar oder Coca-Cola integriert, die in den 60ern kulturell und wirtschaftlich prägend waren. Dieser Bezug zur Realität verleiht der Serie zusätzliche Tiefe und bietet gleichzeitig einen kulturellen Rückblick auf eine Ära voller Umbrüche.

Das Wirken in einer Werbeagentur dieser Zeit muss ein einziges Abenteuer gewesen sein! Die «Goldene Zeit der Werbung» war geprägt von unkonventionellem Denken, Kreativität, leider aber auch von Sexismus, Rassismus und Alkoholismus. Es wurde aussergewöhnlich viel geraucht und getrunken – sogar am Arbeitsplatz. Für mich ist das völlig unvorstellbar, und dennoch würde ich alles dafür geben, diese Atmosphäre einmal erlebt zu haben, zumindest für eine kurze Zeit.

Die Agenturen müssen gestrotzt haben vor Euphorie und Aufbruchstimmung: legendäre Arbeitsanlässe, überdimensionale Aufträge und das Brechen von konservativem Denken. Zu dieser Zeit gab es noch keine Computer und Programme wie Photoshop.

Alles wurde von Hand gezeichnet und geschrieben. Wie gerne hätte ich das miterlebt… Die Gestaltung war einzigartig und hatte ihren ganz eigenen Stil, geprägt durch spezifische Schriftarten und Farben. Heute wird die Grafikszene vermehrt durch die technischen Möglichkeiten wie das Internet stark geprägt und von diversen Gestaltungstrends beeinflusst. Es wird immer schwieriger zu beurteilen, welche Epochen in die Gestaltung einfliessen, da heute praktisch alles möglich ist. Ich stelle fest, dass die Zuschauer:innen dieser Serie auf diversen Ebenen angesprochen werden. Eine dieser Ebenen berührt ganz sicher die Gestaltenden.

Zwischen Gin Tonic und Meetings

Die Darstellung von Alkohol in der Serie ist sehr auffällig und regt zum Nachdenken an. Der Konsum von diversen Suchtmitteln ist nahezu allgegenwärtig – ob während wichtiger Meetings, bei kreativen Prozessen oder einfach zwischendurch am Arbeitsplatz. Diese exzessive Trinkkultur spiegelt jedoch die Realität der 1960er Jahre wider, als Alkohol in vielen beruflichen und sozialen Kontexten als völlig normal angesehen wurde. In der Serie wird gezeigt, dass dieser Lebensstil oft zu persönlichen und beruflichen Grenzerfahrungen führte.

Und immer wieder verwundert mich, wie wenig Zeit zwischen damals und heute liegt. Noch immer ist Alkohol ein fester Bestandteil unseres Alltags – auch in meinem. Sei es ein Feierabendbier oder ein Glas Wein beim Essen. Und trotzdem wäre es heute ein Skandal, bei der Arbeit Alkohol zu konsumieren. Das ist auch gut so. Viele haben ihren «Workaholismus», gewollt oder ungewollt, mit Alkohol durchgestanden. Dieses Thema ist auch heute noch präsent, wird aber anders gehandelt.

Auch die Vermischung von Privatleben und Arbeit ist ein zentraler Punkt. Die Figuren bringen ihre persönlichen Konflikte mit ins Büro und lassen berufliche Spannungen ihr Zuhause beeinflussen. Dies erzeugt eine Stimmung, die zwar, wie ich finde, sehr faszinierend, aber auch beunruhigend ist. Die Serie unterstreicht dadurch die innere Zerrissenheit der Charaktere und zeigt, wie sich gesellschaftlicher Druck und Normen jener Zeit auf deren Leben auswirkten. Ich bin dankbar, dass sich die geschlechtliche Arbeitsaufteilung inzwischen geändert hat. Dass die Frau nicht einzig und alleine für den Haushalt und die Kinder verantwortlich ist und der Mann ausschliesslich für den Unterhalt. Zumindest befinde ich mich in einem Umfeld, in dem es nicht mehr so gelebt wird. Zudem bin ich mir bewusst, dass  noch einiges an Veränderung nötig ist. Nur schon, dass Frauen gleich viel verdienen wie Männer, was leider noch immer nicht der Fall ist.


Sieh sie dir an!

Nicht das Geschehen der Serie hat mich dazu gebracht, Mad Men sieben Staffeln lang zu verfolgen, sondern die einzelnen Charaktere zogen mich in ihren Bann. Ihre Situationen, ihre gesellschaftliche Rolle und somit ihr Handeln waren es, was mich extrem faszinierte. Während all der Staffeln durfte ich ihre Identitäten kennenlernen – begleitet von abwechslungsreichen, zeitlichen Geschehnissen. Selbst wenn die Figuren nicht sprechen, kommunizieren sie trotzdem. Es gibt sehr viele wortlose Szenen in dieser Serie, welche ich besonders mag. Mad Men ist tiefgründig und begeistert auf mehreren Ebenen. Ich liebe es, nach wenigen Minuten in die Zeit der 60er einzutauchen. Die Serie schafft es, gesellschaftliche Rollenbilder und Normen dieser Epoche kritisch zu hinterfragen, ohne sie zu romantisieren. Sie regt zum Nachdenken an und inspiriert mich. Eine passende Beschreibung dieser Serie in drei Wörtern zusammengefasst: Lust. Reue. Heureka!

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