"Mein 18-jähriges Ich freut sich jedes Mal wenn ich auf der Bühne stehe" - Interview mit Güner Künier am B-Sides Festival 2024

Die deutsch-türkische Musikerin Güner Künier ist in der Millionenstadt İzmir aufgewachsen, ehe sie Anfang der Neunziger im Alter von drei Jahren mit ihrer Familie in die Kleinstadt Flensburg im Norden Deutschlands zog. Im Interview erzählt sie von ihrem persönlichen Ausbruch aus konservativen Strukturen, Punk und (un)romantischer Liebe.

Autor:in:
Maurice Koepfli
Titelbild:
Lena Schibli
Hinweise:

Du hast im Jahr 2021 deine erste EP veröffentlicht. 2022 folgte dein Debütalbum "Aşk". Wie hat sich dein Leben seitdem verändert?

Ich spiele viele Konzerte (lacht).

Und im persönlichen Leben?

Da ist ein anderes Feuer drin, wenn du permanent Konzerte spielst und Feedback bekommst. Ich fühle mich dadurch sicherlich als Musikerin und Künstlerin selbstbewusster und bin motivierter.

Deine Musik verbindet Elemente aus verschiedenen Genres, unter anderem auch aus Post-Punk und Synth-Punk. Siehst du dich selbst als Punk?

Ja (lacht).

Was macht "Punk" für dich aus?

Für mich bedeutet es dieses Gefühl von: Okay, ich gehe jetzt nicht mit dem Strom und ich habe andere Werte, die mir wichtig sind und die ich lebe und vertrete. Für mich hat das "Punk-Sein" auch viel mit Ausbruch zu tun.

Wovon musstest du ausbrechen?

Ich komme aus einem eher konservativ geprägten türkischen Familienumfeld. Das ist ein anderer Kulturkreis. Als weiblich gelesene Person wird einem in dieser Welt eine gewisse Rolle zugeteilt. Auch Flensburg, wo ich nach meinem dritten Lebensjahr aufgewachsen bin, ist eher eine kleine norddeutsche Stadt, wo man sich eher schnell mal als Aussenseiter oder Freak fühlen kann.

Und wie funktioniert solch eine "Emanzipation"?

Ich denke dass es mir geholfen hat, mir ein Umfeld aufzubauen mit Menschen, die einen ähnlichen Weg gehen. Dadurch kann man sich seiner Stärken bewusst werden und ein Supportsystem schaffen, das einen Austausch ermöglicht. Man fühlt sich weniger als Aussenseiterin und es zeigt, dass es ein Leben gibt, das auch anders ist.

Obwohl die Musik immer ein wichtiger Bestandteil deines Lebens war, hast du mit 18 Jahren begonnen, Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren. Wie kam es dazu?

So ganz verschwand die Musik nie aus meinem Leben. Doch mit 18 musste ich mir erstmal gewisse Grundlagen für mich selbst schaffen, um dann wieder mit der Musik interagieren zu können. Mir war es wichtig, rauszukommen, mir ein Leben aufzubauen und mich finanziell unabhängig zu machen. Zudem hatte ich damals nicht das Selbstbewusstsein zu sagen: "Ich mache mal Musik und meine das ernst und werde Sachen releasen."

Unter deinen Videos wird immer wieder kommentiert, dass deine Musik modern ist und einen gleichzeitig in die Vergangenheit führt. Wie erklärst du dir das?

Ich höre auch heute noch viel Musik von den 70ern bis in die 90er. Als ich klein war, waren es Sonic Youth, Meat Puppets oder Hole. Diese Einflüsse spiegeln sich auch sicherlich in meiner Musik wider und die Menschen hören das.

Dein Debütalbum trägt den Namen des türkischen Wortes "Aşk". Wie kam es dazu, dass dein Album einen türkischen Namen trägt?

In jungen Jahren war ich vielen türkischen musikalischen Einflüssen ausgesetzt. Anschliessend habe ich nie auf Türkisch gesungen oder Texte geschrieben. Ich habe mich ein bisschen dagegen gesträubt, weil ich nicht auf diesen "Background" reduziert werden wollte. Doch später begann ich herumzuexperimentieren, mich mehr mit türkischer Musik als auch mit meiner Herkunft auseinanderzusetzen. Das hat sich sehr gut angefühlt und so begann ich auch auf Türkisch zu singen.

 "Aşk" bedeutet Liebe. Um was für eine Liebe handelt es sich dabei?

Um verschiedene Formen. Es geht darum, was Liebe alles mit sich bringt. Nicht nur um romantische Beziehungen, sondern auch Beziehungen zu Freunden und Eltern und auch was Negatives mit der Liebe einherkommen kann, wie Vertrauensprobleme oder Verletzungen.

Mit 18 hast du deine Gitarre an die Wand gehängt. Nun bist du doch Musikerin geworden. Was denkst du, wäre dein 18-jähriges Ich glücklich oder irritiert?

Die würde sich mega freuen (lacht). Wir besitzen ja auch verschiedene Anteile als Menschen und das 18-jährige lebt auch noch in dir drin, auch wenn du älter wirst. Ich denke, es freut sich jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stehe.

Arbeitest du zurzeit an neuen Projekten?

Ja! Ich habe diese Woche mein nächstes Album im Studio abgeschlossen, die Aufnahmen sind fertig und zum Ende oder Anfang nächsten Jahres wird es veröffentlicht.

Was war bei der Schaffung dieses Albums anders?

Ich habe das Gefühl, dass es bei der Schaffung dieses Albums mehr Energie und Klarheit in dem gab, was ich bin. Ich habe auch Songs, die verträumter und melancholischer sind. Das ist immer noch dabei, aber es geht ein bisschen mehr nach vorne. Ein bisschen mehr Energie, Stärke und Power.

Ist das auch, weil du dich als Künstlerin gefunden hast?

Klar, und auch, weil ich mich immer besser davon abgrenzen kann, was ich nicht sein möchte, und mich darauf fokussieren kann, worauf ich Lust habe.

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