Jazz-Liebe in Montreux mit Amy und Jamie

Ein wenig chaotisch, aber dennoch alles frisch im «Umbaujahr» der 58. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals.

Autor:in:
Daniel Klein
Titelbild:
Lionel Flusin
Hinweise:

LES VISAGES ET LES ODEURS – FORMIDABLE ?

Viel Kommerz, wenig Jazz? Prinzipiell kenne ich keine:n Musikfreund:in, der oder die nicht auch Freund:in des diesjährigen Line-Ups war. Wer da nicht sein: «Oh, das wollt' ich schon immer mal live sehen und wie geil, die gibt es noch - da muss ich hin»-Gefühl hatte, lügt. Die Bandbreite bediente wirklich alles. Oder fühlt sich jemand vergessen? Kann's mir kaum vorstellen. Aber immer wieder (und wohl auch zu Recht) kommt auch die Frage, was das noch mit Jazz zu tun habe. Spucken die Nestlè- Drachen nicht einfach noch ein paar Millionen Franken in das Kultfestival, damit es Kult bleibt? Bucht man Aussenseiter, um Johnny-Depp-Guest-Appearances zu bezahlen? Im dritten Jahr in Folge und wohl wirklich mit der realistischen Brille auf der Nase, kann ich es widerlegen. Hier gibt es noch die Glaubwürdigkeit, die die wahren Jazzfans wollen. Diejenigen, die nachts um 2 Uhr bei Jam Sessions den Sound zelebrieren, der dem Festival seinen Namen gab. 

Natürlich muss man/du/er/sie/die mit der Zeit gehen und selektieren. Natürlich wird hier auch viel Sponsoring betrieben, um die Karre am Laufen zu halten. Aber woanders nun auch. Wir nehmen euch mit in den Samstagabend am 13. Juli zur 58. Ausgabe des MJF. Auf jeden Fall ist zu erwähnen, dass das Hauptgebäude mit den beiden Konzertsälen saniert wird und es zwei Ersatzbühnen gibt. Diese finden einerseits aussen und innen einen neuen Platz. Generell vergrösserte sich das Gelände dadurch auf fast die doppelte Fläche.

SO TÖNT JAZZ 2024

Prime Time: Diana Krall - neben Sarah Jones wohl die bekannteste Jazzsängerin die es gibt, spielt auf der Hauptbühne. Die werden wir aber nicht sehen, weil wir unbedingt Amy Gadiaga im Memphis sehen möchten. Das Memphis ist eine kleine, clubartige Blues- und Jazzvenue, die den traditionellen Stilen nachempfunden ist. Sie befindet sich im Lake House Gebäude.

Wir sind mittendrin, wie Sängerin und Augenweide Amy Gadiaga auch. Sie ist völlig in the zone. Verschmilzt mit ihren Musikern und ihren Texten. Mal englisch, mal französisch. Lässig, eckig, immer wieder unerwartet. Cool. Wir sind schwer beeindruckt. Die Kontrabassistin singt sich in die Herzen des proppenvollen Saals. So klingt Jazz 2024. Einfach nur schön. Auch unsere Frachtwerk-Entourage hat es sehr gefeiert. Leider durfte die Band nur eine Dreiviertelstunde spielen, was wir sehr traurig fanden. Denn auch wir waren hypnotisiert von den Klängen. Die Band, bestehend aus Drums, Trompete und Klavier, liefert perfekt und harmonisch ab. Die Dame aus London werden wir hoffentlich in Zukunft häufiger sehen und hören. Hörtipps: «Soar, when I`m alone» und «FullSun».

AUSVERKAUFTE HÜTTE FÜR JAMIE CULLUM

Aber nun zum Main Act auf der improvisierten Open Air Bühne, am Marktplatz, neben der Freddy-Mercury-Statue. Auf dem Platz können samt Tribüne und kleiner VIP-Lounge insgesamt 5'500 Zuschauer:innen Platz nehmen. Sehr schön hat man die Bühne halb in den See gestellt und Anwohner:innen können von ihren Balkonen mithören. Grossartiges Ambiente. Guter Sound und viel Platz, aber die WCs und 70 Prozent der Getränkestände sind nur auf eine Seite ausgerichtet. Ein Schwachpunkt, wenn man die Menschenmassen sieht. Aber auch der Einzige. Wir platzieren uns mittig links in Bar- und Tontechnik-Höhe. Definitiv eine gute Entscheidung. Da genug Platz zum Tanzen ist, die Aussicht passt und die Nähe zur Bar auch.

Der Ausnahmekünstler Jamie Cullum, wir er uns an diesem Abend beweist, startet direkt los und verkündet, er sei vor 20 Jahren zum ersten Mal auf dem Festival gewesen. Dies bedeute ihm viel und er sei ganz aus dem Häuschen, vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Good Vibes from the Start. Und ihr als meine Leser:innen (wie meine Freunde auch) wisst: Das Wort Ausnahmekünstler verwende ich so gut wie nie.

Das Repertoire von Jamie Cullum reicht über die eigene 20-jährige Diskographie bis hin zu Covers von Klassikern und Popsongs - die er mitsamt seiner Band immer wieder frisch und in eigenem Stil vorträgt. So folgen neben «Get myway», «Taller» und «Don`t stop the music», nicht nur seine eigenen Songs, sondern auch Covers von Hits wie «Uptown Funk» oder Nina Simone`s «Sinnerman». Was aber der Crowd am See am meisten schmeichelt: Erneut führt er einen noch nie live gespielten Song auf. Die etwas schwungvollere Ballade wird demnächst erscheinen. Dem Schweizer Publikum wollte er ihn als erstes vorspielen. Der Applaus und die Wertschätzung stehen für sich. Gleiches gab es 2018 beim MJF mit sogar zwei neuen Songs im Auditorium Stravinski. Es scheint einfach schon eine längere Liebesbeziehung zu geben. Zumindest hinterlässt seine gute Laune, die Euphorie und die volle Hingabe (die auch alle Mitstreitenden auf der Bühne darbieten) diesen Eindruck. Das kommt gut an. Da ist eine gewisse Verbundenheit zwischen Künstler und Zuschauer:innen vorhanden. Magisch.

Er springt durch die Menge mit dem Mikro, spielt kleine A-Cappella-Songs und haut auch mal ein Solo am Piano ohne Band raus. Die Übergänge harmonieren und ob Tempo rein oder raus: Er hat die Menge im Griff. Sogar so sehr, dass sogar das Barpersonal zwischen Bierzapfen und Einkassieren am Mitgrölen und Tanzen ist. Von den anderen 5'498 Gästen kaum zu sprechen. So muss Festival sein – ja mann. Sein Paradestück «When I get famous» kommt kurz vor Schluss und bringt alle zum Tanzen und Springen. Daraufhin folgen noch mehr Zugaben als erwartet. «I can do it». Nimmt man ihm ab, lässt ihn spielen und schmunzelt über die kleine Dreistigkeit. Nach knapp zweieinhalb Stunden ist das Spektakel beendet.

Wir hoffen doch, dass sich der Umbau noch etwas hinzieht und kommendes Jahr wieder die Hauptbühne einen Aussenplatz findet. Wir bedanken uns, wie in den Vorjahren, für die nette Gastfreundschaft.

Verlosung

Infobox

Für Rappenspalter: Montreux bietet über 9 kostenfreie Bühnen undParties.  Teilweise ist es auch dortmöglich seine eigenen Rauch - oder Trinkwaren mitzubringen. Aber nur teilweise.Nordportugiesisches Bier bringt ansonsten den Haufen zum Laufen. Saude.