Ruhe vor dem Sturm – Air und Massive Attack am Montreux Jazz Festival

Der heutige Abend ist komplett ausverkauft. Kein Wunder, denn das Line-up lässt so einige Herzen höher schlagen. Liebhaber:innen elektronischer Musik von Nah und Fern versammeln sich am diesjährigen Montreux Jazz Festival für das Doppelkonzert von Air und Massive Attack.

Autor:in:
Julia Süess
Titelbild:
Julia Süess
Hinweise:

Beide Bands haben seit den 90er Jahren einen grossen Einfluss auf die Musiklandschaft. Ihre Art, elektronische Musik anzugehen, mit ihr zu experimentieren und sie musikalisch zu erweitern, hat die Musikszene genreübergreifend geprägt. Beide Projekte könnten vom Sound her nicht unterschiedlicher sein. Doch es verbindet sie eine gewisse Nostalgie.

Air wurde 1995 von den Franzosen Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel in Versailles gegründet. Die Band ist für ihre verträumt-melancholische Musik bekannt, die vom Sound analoger Synthesizer geprägt ist. Momentan touren sie mit ihrem Albumdebüt «Moon Safari» durch die Welt - mit einer neuen Bühnenshow. Das Album feiert dieses Jahr das 25. Jubiläum.

Air - eine warme, entspannte und mitreissende Atmosphäre. (Bild: Julia Süess)

Kurz vor Beginn des Konzertes öffnet sich der Himmel und offenbart einen beeindruckenden Sonnenuntergang. Das warme Orange der Sonne und die schimmernden Regentropfen setzen den ersten Song «la femme d’argent» perfekt in Szene. Die Musik wird mit musikalischer Unterstützung von Schlagzeuger Louis Delorme zum grössten Teil live gespielt. Spätestens beim zweiten Song ‘«Sexy Boy», haben alle im Publikum das vorherige Unwetter vergessen und geniessen im Schein der untergehenden Sonne die sanfte Musik. Abdem dritten Song «All I Need» (orig. mit Beth Hirsch), nimmt die Bühnenshow Fahrt auf. Die Band performt in einer Raumschiff-ähnlichen, weiss-silbernen Bühneninstallation, die gleichzeitig auch als Bildschirm dient. Eine Lichtshow unterstreicht die Stimmung der einzelnen Songs und trägt dazu bei, dass die eher ruhige Musik nicht an Dynamik verliert. Airs Musik fühlt sich an wie eine verschwommene Sommernacht in einer grossstädtischen Lounge.Warm, entspannt und ganz groovy.

Eine Bild- und Klanggewalt

Die Atmosphäre vor dem zweiten Konzert ist definitiv eineandere. Aufgeladen, wie die Gewitterwolken vor einem Sturm. Massive Attack ist eine britische Trip-Hop Band aus Bristol, die aus demKünstlerkollektiv «The Wild Bunch» hervorgegangen ist. Als sich dasKollektiv Ende der Achtziger langsam auflöste, beschlossen die dreiGründungsmitglieder Robert «3D» Del Naja, Grantley «Daddy G» Marshall und Andrew «Mushroom» Vowles, ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen. So entstand Massive Attack. Ihr Sound lässt Soul-Gesang und Rap mit elektronischen Beats und Samples verschmelzen. Verzerrte Gitarren, Dub-Basslines und schwebende Synthesizer ergänzen die Soundkulisse. 

Es ist schnell klar, dass sich diese Show in eine ganz andere Richtung entwickelt. Massive Attack nutzen ihre Plattform nämlich dazu, Statements zu aktuellen politischen Themen zu setzen und diese musikalisch zu unterstreichen. So werden u.a. der Genozid in Palästina, die Folgen des Golfkrieges, Tierversuche, Medienmassenkonsum und Donald Trump thematisiert - und stark kritisiert. Man merkt, dass viele Menschen nicht darauf gefasst sind. Die Bild- und Klanggewalt lässt wenig Platz für eigene Vorstellungen. Es ist viel auf einmal, doch die Videos sind raffiniert gemacht und ergänzen sich mit der Musik zu einem sehr eindrücklichen Gesamtwerk. 

Massive Attack haben ihren Bandnamen zum Thema gemacht und grosse Themen auf die Leute losgelassen. (Bild: Julia Süess)

Die Musik ist teils hart, verzerrt und laut, mal melancholisch, fragil und sanft. Bei ihren grossen Hits wie «Mezzanine» und «Teardrop» verzichtet die Band teilweise auf den Videohintergrund und hebt die Songs somit musikalisch stärker hervor. Massive Attack teilt sich die Bühne mit mehreren Gastmusiker:innen. Heute Abend stehen unter anderem Elizabeth Fraser, Shara Nelson und Horace Andy auf der Bühne. Ihre Stimmen haben allesamt eine unglaubliche Kraft und berühren das Publikum sehr. Die Musik wird in Kollaboration mit verschiedenen Musiker:innen live gespielt.

«Die Ruhe vor dem Sturm» beschreibt den Abend gut. Airs Auftritt war wie eine Wolke, die sich gemächlich in der Sonne räkelt. Massive Attacks Konzert war hingegen das unerwartete Gewitter: mal heftig, mal sanft, ruhelos und ehrlich - der Abend bleibt definitiv in Erinnerung!

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