Polyamorie: Was ist besser als Liebe? Noch mehr Liebe!

Monica und Chris sind seit über 35 Jahren ein Paar. Bereits mit 18 Jahren wussten sie, dass sie für immer zusammenbleiben möchten. Dennoch stellten sie sich bald die Frage: Wieso liebt man eigentlich nur eine Person? Wieso verbieten wir uns, spannende Erfahrungen mit anderen Menschen zu machen? Nach fünf Jahren öffneten sie ihre Beziehung auf sexueller Ebene, kurz darauf folgte die Polyamorie. Beide führen jeweils noch eine andere Beziehung. Ein Einblick in ein alternatives Beziehungskonzept.

Autor:in:
Bettina Wyss
Titelbild:
z.V.g.

Chris und Monica. Das ist eine Liebesgeschichte wie aus dem Bilderbuch. Jedoch nicht aus einem Bilderbuch aus dem Jahr 1950. Die beiden leben ein alternatives Beziehungskonzept. Chris führt mit Monica und einer weiteren Frau eine Beziehung. Und Monica hat ebenfalls einen zweiten Partner. Alle verstehen sich blendend. Neulich waren Chris und Monica, Monicas zweiter Partner und die Kinder gemeinsam in den Ferien. «Das war eine schöne Zeit», sagen die beiden. Sie sind glücklich. Genau wie in monogamen Beziehungen gab es natürlich Hürden. Jedoch haben Monica und Chris dank offener Kommunikation bisher jede Hürde erfolgreich gemeistert. Aber von vorn.

Mit jungen 18 Jahren begegneten sich Chris und Monica. Es funkte schnell und die beiden wurden ein Paar. Für beide war es die erste Beziehung und auch der erste sexuelle Kontakt. Aus ihnen wurde ein richtiges Traumpaar, die Chemie stimmte einfach. «Wir konnten immer gut miteinander über alles sprechen», erinnert sich Chris. So sei nach fünf Jahren bei beiden das Bedürfnis aufgetaucht, mal andere Haut zu spüren. Andere Menschen zu küssen. Anstatt die geheimen Wünsche zu verschweigen, sprach das Paar darüber. Schnell war klar, dass es beiden gleich geht. Wie sich das wohl anfühlen mag, mit einem anderen Menschen Sex zu haben? «Uns war klar, dass wir uns nicht trennen möchten», betont Monica. «Also haben wir uns entschieden, diese Erfahrungen einfach gemeinsam zu machen.»

Die beiden lachen herzhaft, wenn sie an ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit anderen Personen zurückdenken. «Es war schon aufregend», geben sie zu. Sie haben einzelne Personen oder auch mal Paare zu sich eingeladen und haben ihre Neugier ausgelebt. Eifersucht? Gab es nie. «Wieso auch?», fragt Chris. «Mir nahm ja niemand was weg. Im Gegenteil. Gemeinsam solch abenteuerliche Erfahrungen zu machen, brachte uns noch näher zusammen.»

«Ich habe zu Hause geweint»

Monica und Chris gründeten eine Familie. Mit drei Kindern wurde es schwierig, regelmässig andere Menschen zum Sex zu treffen. Also beschlossen sie, dass sie sich einzeln mit anderen Personen amüsieren können. Eine Entscheidung, die anfangs nicht so leicht war. Monica erinnert sich gut: «Als Chris zum ersten Mal alleine ausging, um eine andere Frau zu treffen, weinte ich daheim.» Sie bekam auf einmal Angst, nicht zu genügen. «Ich hatte keine Kontrolle mehr über die Situation, ich konnte keine Präsenz markieren.» Doch durch viele offene Gespräche ging diese Angst irgendwann weg. Denn auch sie genoss die Freiheit, ihre eigenen Erfahrungen machen zu dürfen, ohne Angst um ihre Beziehung haben zu müssen.

Chris und Monica erleben eine Partnerschaft auf Augenhöhe. (Bild: z.V.g.)

Aus Sex wurden Gefühle

Bald schon merke Monica, dass ihr die reine körperliche Nähe zu anderen Menschen nicht mehr genügte. Wenn sie sich in einen anderen Mann verliebte, tat das ihren Gefühlen für Chris keinerlei Abbruch. So ging es auch Chris. «Wenn man sich in einen anderen Menschen verliebt, bedeutet das ja nicht, dass man die bisherige Liebe nicht mehr fühlt.» So wurde aus der offenen Ehe eine polyamore Ehe. Das Konzept war eine hierarchische Polyamorie. Das bedeutet, dass es eine Hauptbeziehung gibt, die immer an erster Stelle steht, und die anderen Beziehungen zweitrangig sind. Eine Tatsache, die Sicherheit schafft. Dennoch: Kann man Liebe wirklich in Schweregrade unterteilen? Ist Liebe nicht einfach Liebe? Man sagt doch so schön: Liebe ist die einzige Sache, die sich verdoppelt, wenn man sie teilt.

Wer alternative Beziehungsformen lebt, muss herausfinden, welche Form passt, welche Regeln aufgestellt werden müssen und wie am besten kommuniziert wird. So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind die Bedürfnisse. Kommunikation ist das A und O. Alternative Beziehungsmodelle erfordern eine gute Kommunikation. Man befasst sich intensiv mit den eigenen Bedürfnissen und jenen des Gegenübers. Dadurch stärken sich die Bindung, das Vertrauen und die Chance, keine Angst zu haben, alle Themen anzusprechen.

Monica und Chris sind in der Lage, über alles zu reden. So haben sie herausgefunden, was für sie am besten ist. Heute leben Chris und Monica in einer nichthierarchischen Poly-Ehe. Das bedeutet, dass alle ihre Beziehungen gleichwertig sind.

Und was ist mit Eifersucht?

Chris und Monica haben sich inzwischen an die Fragen gewöhnt. Menschen, die in monogamen Beziehungen leben, können ihre Beziehungsform oft nicht nachvollziehen. «Das macht ja nichts. Es gibt kein Richtig und Falsch. Jeder Mensch muss selbst herausfinden, welche Beziehungsform zu ihm passt. Wichtig ist nur, dass man jeden für seine Lebensweise respektiert», betont Chris.

«Ich könnte das ja nicht», oder «Seid ihr nicht eifersüchtig?», sind Worte, die Chris und Monica oft hören. Gerade beim Thema Eifersucht muss Chris schmunzeln. Bei Monica sei er noch nie eifersüchtig gewesen, sagt er. Der Grund: «Weil das Vertrauen so gross ist. Wir haben seit Jahrzehnten eine stabile Basis, die wir durch offene Kommunikation regelmässig instand halten.» Bei einer neuen Person hingegen spüre er eher mal Eifersucht. Das läge schlicht daran, dass dort noch keine starke Vertrauensbasis bestehe. «In der Verliebtheitsphase ist eine offene oder polyamore Beziehung schwer umzusetzen. Erst wenn die Liebe beginnt, ist man stabil genug dafür», sind sich die beiden einig. Denn Liebe bedeutet gegenseitiges Wohlwollen und hat nichts mit Besitz zu tun.

Die Kinder haben unterschiedlich reagiert

Chris und Monica haben drei Kinder. Jeweils an deren sechzehntem Geburtstag haben sie diese über ihren Lebensstil aufgeklärt. Die Reaktionen waren unterschiedlich, aber immer verständnisvoll. Der älteste Sohn fand das gut und meinte, er finde es toll, wenn die beiden glücklich sind. Die mittlere Tochter habe gesagt: «Ich wusste es! Das passt einfach zu euch!» Und der Jüngste? Er signalisierte, dass es ihn nicht wirklich interessiert. Chris und Monica lachen. Ihren Kindern zu sagen, dass sie sich gegen einen klassisch monogamen Lebensweg entschieden haben, habe sie zwar nervös gemacht, dennoch sei es viel einfacher gewesen, als es den eigenen Eltern zu erzählen. «Eigentlich wollten wir es ihnen gar nicht sagen», verrät Monica. Jedoch hat das Paar 2019 für eine Folge von «Mona fragt nach», einer Reporter-Sendung vom SRF, zugesagt, öffentlich über dieses Thema zu sprechen. «Wir wollten dann auch nicht, dass sie es übers Fernsehen erfahren», so Chris. Und auch wenn diese Gespräche nicht leicht waren: Heute akzeptieren auch die Eltern, dass Chris und Monica mit ihrer Beziehungsform glücklich sind. «Wir haben keine Angst um unsere Liebe. Wir gönnen uns gegenseitig nur das Allerbeste. Und genau das macht Liebe doch aus.»

Verlosung

Infobox

Poly-Stammtisch in Luzern

Wer sich über alternative Beziehungsformen austauschen möchte, hat in Luzern die Möglichkeit dazu. Immer am 28. jeden Monats findet der Poly-Stammtisch statt. Die genauen Orte und Daten findest du auf www.polyamory-luzern.ch. Monica und Chris sind regelmässig dort und geben gerne Auskunft.