frachtwerk: Was war die Inspiration hinter dem Film? Gibt es einen persönlichen Bezug zur Insel Stromboli?
Miriam: Wir sind früher als Familie mehrmals nach Stromboli in die Ferien gegangen. Anders aber als es der Massentourismus heute macht, bei dem man nur einen Nachmittag auf der Insel verbringt, waren wir immer wieder längere Zeit dort. Dadurch haben wir Kontakte geknüpft, Beziehungen aufgebaut und daraus sind Freundschaften entstanden. Die Menschen erzählten uns ganz viele archaische Geschichten rundum den Berg und den Vulkan. Dabei haben wir gemerkt, wie stark sie sich mit dem Vulkan, den sie «Iddu» nennen, identifizieren. «Iddu» heisst «er» auf Sizilianisch, und diese Personifizierung des Vulkans hat mich angefangen zu interessieren.
Interessant war, dass gewisse Inselbewohner:innen fast schon symbiotisch mit dem Berg zusammenleben, aber in einer Hassliebe. Einerseits haben sie sehr viel Respekt, andererseits sind sie sehr verbunden mit dem Berg. Sie fragen ihn um Rat, beten zu ihm und fühlen sich dann doch betrogen, wenn er wieder etwas stärker ausbricht. Daraus ist die Idee für den Film entstanden.
f: Wie hast du es geschafft, dass sich die Menschen öffnen und ihre Geschichten erzählt haben?
M: Wichtig war für uns, dass wir immer wieder auf die Insel gingen. Und zwar während des ganzen Jahres und nicht nur in der touristischen Saison. Das ist das Konzept des Films, dass alle Jahreszeiten abgedeckt sind. Die Menschen haben es sehr geschätzt, dass wir in allen vier Jahreszeiten da waren und sie bei ihren Ritualen begleitet haben, von der Fasnacht zur Osterprozession bis zu Allerheiligen. Dadurch haben sie ein Vertrauen aufgebaut und haben Freude gehabt, dass wir an ihrer ganzen Gemeinschaft interessiert waren und nicht nur an den gleichen zwei, drei Fischern im Dorf.
f: Was hat dich während des Drehs am meisten überrascht?
M: Der Kontrast zwischen Sommer und Winter ist extrem. So zeigt sich der Winter auf der Insel als komplett isoliert und abgeschieden. Schiffe können bei schlechtem Wetter nicht anlegen und die Bewohnenden sind auf sich selbst gestellt. Im Winter sind nur 400 Leute auf der Insel, im Sommer hingegen über 10'000 Menschen. Alles muss auf die Insel geliefert werden, es gibt dort nicht einmal eigenes Wasser. Das führt zu einer völligen Überlastung, wenn im Sommer plötzlich 10'000 Leute für wenige Tage die Insel besuchen, kurz ihre Selfies machen und hauptsächlich Müll hinterlassen.
Auch der Ausbruch von 2019 spielt eine grosse Rolle. Von einem Tag auf den anderen musste die Insel von Null anfangen, es gab einen totalen Stillstand. Plötzlich kam kein Tourist:innenboot mehr. Die grösste Einnahmequelle, das Trekking über den Vulkan, entfiel auf einen Schlag. Für den Film war es sehr spannend, wie die Menschen innehielten und reflektierten. Wo will die Insel hin ohne alternative Einkommensquellen zum Tourismus? Aus dieser Krise ist etwas Neues entstanden, was wir filmisch begleiten konnten. Spannend war auch die Interpretation dieses Ausbruchs durch die Stromboles:innen. Weil viele den «Iddu» fast als Gott sehen, haben sie den Ausbruch als Mahnfinger des «Iddu» interpretiert. Wie ein Warnsignal oder Stoppzeichen an die Menschen, wenn sie zu überborden scheinen.
f: Die Aufnahmen wirken eher düster und langsam. War das so geplant oder entstand das durch die Stimmung auf der Insel?
M:Ja, die Insel hat eine grosse Melancholie, das spürt man in allen Gesprächen. Stromboli hat etwas Schweres, denn das Inselleben wird durch diese Schwierigkeiten und Herausforderungen geprägt. Den Bewohnenden stellt sich die Frage - wieso überhaupt auf der Insel bleiben? Es ist eine Diskrepanz und Hassliebe, die sie mit dem Ort verbinden und gleichzeitig wollen sie genau dem entfliehen. Die jüngere Generation versucht romantische Beziehungen auf dem Festland aufzubauen, doch die Insel dafür zu verlassen, fällt ihnen oft schwer. Der Berg mischt sich in Beziehungen ein, und macht viele kaputt, was dem Ganzen auch eine Schwere gibt.
f: Verstehst du, wieso die Menschen trotzdem auf der Insel bleiben?
M: Ich frage mich das auch bei uns, beispielsweise bei Bergdörfern, die neben Erdrutschgebieten liegen oder lawinengefährdet sind, die möchten ja auch bleiben. Ich habe mich gefragt, wieso die Verbundenheit so gross ist. Der Berg gibt ihnen viel, zum Beispiel Identifikation. In Stromboli sind sie jemand und sie sind angesehen. Die Touristen kommen zu Ihnen und bewundern den Berg und das archaische Leben auf der Insel. Von aussen ist diese tiefe Verbundenheit mit dem Berg wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen.
f: Und was denkst du, wie die Zukunft von Stromboli aussehen wird?
M: Ich glaube, schlussendlich, ist Stromboli eine Parabel auf uns alle Menschen. Sobald ein Ausbruch da ist, gibt es einen Moment des Reflektierens, aber sobald Zeit vergeht, kommen wieder Tourist:innen zurück und die Versuchung vom schnellen Geld ist wieder da. Diesen Sommer gab es wieder einen grossen Ausbruch und alles war lahmgelegt, wieder hatten sie kein Einkommen. Aber es besteht doch die Hoffnung von nachhaltigerem Tourismus und dass der Vulkan nicht nur als Sensation gesehen wird, sondern dass ein richtiges Interesse an der Insel entsteht.
f: Ist das Reflektieren über den Massentourismus auch etwas, was du mit dem Film bewirken wolltest?
M: Ja, der Tourismus ist das eine, aber andererseits wollte ich auch die Beziehung zur Natur und der Umgang mit Naturkatastrophen thematisieren. Wir haben es diesen Sommer hier in der Schweiz auch erlebt, wie unvorhersehbar Unwetter sein können und wie wir an unsere Grenzen kommen mit Warnsystemen und Wetterprognosen. Stromboli ist schlussendlich eine Metapher für uns alle.
Die Hommage an den mächtigen «Iddu» ist seit dem 29. August in den Schweizer Kinos zusehen und wird ab dem 8. September im Kino Bourbaki in Luzern gezeigt.