Mit schwitzigen Händen sitze ich meiner Frauenärztin gegenüber. Es ist Winter 2023. «Ja, die Endometriose ist jetzt ein Hype, sie ist in aller Munde.» Bereits zum zweiten Mal leiert sie diesen Satz herunter, als Reaktion auf meine Annahme, selbst von Endometriose betroffen zu sein. Ihr Tonfall verrät wenig Mitgefühl, es schwingt vielmehr Zynismus mit, als würde sie meine Besorgnis belächeln. Als sie mir ein drittes Mal zu verstehen gibt, mich ihrer Meinung nach vom Hype um die «neue» Krankheit angesteckt zu haben, platzt mir der Kragen. Ich sage ihr, dass es meinem Leiden an extremen monatlichen Schmerzen und Schwindelanfällen ziemlich egal sei, ob Endometriose trendig sei oder nicht. Nachdem sie mir ausführlich erklärt hat, dass eine Diagnose aufgrund der mangelnden Behandlungsmöglichkeiten sowieso nichts bringe, leitete sie mich endlich, wenn auch zögerlich, für die Abklärung zum Frauenspital weiter.
Meine persönliche Erfahrung ist kein Einzelfall, wie es die Zahlen zeigen. Denn Betroffene suchen im Schnitt acht verschiedene gynäkologische Praxen auf, bis sie mit ihren Symptomen ernstgenommen werden. Dabei vergeht durchschnittlich ein zehnjähriger Leidensweg, bis eine Diagnose meistens im Alter zwischen 25 und 45 Jahren gestellt wird, was auch bei mir der Fall war. Im Sommer 2024 erhielt ich mit 28, nach jahrelangem stillem Leiden und monatelanger Abklärungszeit, erleichtert die ersehnte Diagnose. Sie beweist, dass ich mir die Schmerzen nicht nur eingebildet hatte und ich nicht «zu sensibel» bin. Das gesellschaftliche Stigma, das von Endometriose betroffene Menschen erfahren, ist ein zentraler Grund für die Odyssee zur Diagnose. «Mensturationsschmerzen gehören halt dazu», «reiss dich zusammen» oder «denk einfach an was anderes» sind nur drei von vielen Aussagen, die ich mir während meinen zyklischen Schmerzen anhören musste. Die Ignoranz und Bagatellisierung der Beschwerden haben sowohl psychische, alltägliche, berufliche als auch reproduktive Folgen. Viele Personen mit Endometriose fühlen sich alleine gelassen, gehen trotz starker Schmerzen zur Arbeit, sind beruflich als auch privat weniger leistungsfähig.
Obwohl meine (dazumalige) Frauenärztin Endometriose als Trend bezeichnete, war die Krankheit nur wenigen Menschen in meinem Umfeld bekannt. Das trotz der Tatsache, dass Endometriose als zweithäufigste gynäkologische Erkrankung in der Schweiz gilt. Studien zeigen, dass 8 bis 15 Prozent der Menschen mit Gebärmutter von Endometriose erkrankt sind. Das sind landesweit 190 000 bis 280 000 Personen, mehr als von Diabetes Typ 2 Erkrankte. Doch wie kann es sein, dass eine Krankheit, die eine beträchtliche Anzahl von Menschen betrifft, so wenig gesellschaftliche Anerkennung erfährt? Meine Vermutung: Der Gender Gap.
Wäre Endometriose eine männliche Krankheit, wäre die Forschung heute mit Sicherheit auf einem anderen Stand. Diese Aussage unterstützt auch Michael Müller, Chefarzt der Berner Universitätsklinik für Frauenheilkunde, im Gespräch mit SRF. Unser Gesundheitssystem orientiert sich nach wie vor stark an der männlichen Norm, was dazu führt, dass Erkrankungen, die vorrangig Frauen* betreffen, oft vernachlässigt werden. Die Gebärmutter gilt noch immer als Mysterium in der Medizin, und die lange Geschichte der Hysterie zeigt deutlich die Abwertung und Unterbewertung von Frauen* und ihren gesundheitlichen Anliegen. Diese Tendenzen spiegeln sich auch in der Forschung wider. Der Tages-Anzeigers vom Dezember 2023 offenbart eine beunruhigende Tatsache: In der Schweizer Endometrioseforschung hat sich während fast einem Jahrzehnt kaum etwas getan. Im selben Jahr forderte der Nationalrat mit einer Motion, Forschung der Unterleibskrankheit zu fördern. Doch der Ständerat lehnte diese mit der Begründung, die Politik solle sich nicht in die Forschung einmischen, ab. Die Zurückhaltung auf politischer Ebene in der Schweiz steht im starken Kontrast zu internationalen Entwicklungen. Es ist höchste Zeit, dass sich da etwas ändert.
Als betroffene Person dieser oft missverstandenen Krankheit plädiere ich dafür, dass die rotierende ungleiche Gewichtung von Frauen*krankheiten sowohl auf gesellschaftlicher als auch politischer Ebene endlich durchbrochen werden. Dies fordert nicht nur eine bessere Aufklärung und Sensibilisierung in der Gesellschaft, sondern auch eine verstärkte Forschung und medizinische Versorgung. Die verschiedenen Dimensionen von Geschlechterungleichheit in der Medizin muss angegangen werden, damit Personen mit Gebärmutter nicht länger vernachlässigt und diskriminiert werden. Erst wenn Endometriose in der Gesellschaft so ernstgenommen wird ist wie ein hyperaktueller Trend, können Stigma und einsames Leiden behoben werden.
Symptome von Endometriose Können sich sehr unterschiedlich zeigen. Hier eine Liste der Hauptsymptome:
- Starke Zyklusschmerzen
- Schmerzen im unteren Rücken
- Unregelmässiger Zyklus
- Starke, langanhaltende Blutungen
- Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
- PMS
- Schmerzen in Brüsten
- Stimmungsschwankungen
- Erschöpfung